Tödlicher Staub
der Salon war leer bis auf sechs Herren, die anscheinend den Wein mehr liebten als einen parfümbesprühten Frauenkörper. Pataneau und Ducoux gehörten dazu … Sendlinger verabschiedete sich von ihnen, ließ sich von dem halbnackten Garderobenmädchen ein Taxi rufen, schob ihr fünfhundert Francs zu und fuhr zurück zum Hotel George V.
Nicht Pu, sondern Bo ist das Geschäft der Zukunft, dachte Sendlinger, als er in seiner Suite die Schuhe abstreifte. Kein Plutonium … Botulin und seine Abkömmlinge in den Retorten werden die Herrschaft übernehmen. Wer sie besitzt, kann die Welt beherrschen, denn es gibt keine Gegenwehr.
Dr. Sendlinger schlief schlecht in dieser Nacht. In seinem Hirn brodelte es; es war ein Kampf nach drei Seiten – das Gewissen ermahnte ihn, die Geldgier trieb ihn an, und ein neuer Gedanke bekämpfte Gewissen und Gier: Mit einer biologischen Waffe in der Hand konnte man sogar die Macht über diesen Planeten erhalten.
Man konnte befehlen: Ändert die Steuergesetze, oder es regnet Milzbrand vom Himmel.
Schafft die Atombomben ab, sofort, ohne Zögern, oder ihr saugt mit jedem Atemzug die Pest in euch ein.
Alle Staaten der Welt, setzt euch an einen Tisch und werdet Brüder … oder ihr werdet verseucht, werdet Blut spucken, werdet innerlich zerfressen werden, werdet euch auflösen zu Schleim, so wie eine Schnecke, auf die man Salz streut.
Achtet die Menschenrechte, gebt den Menschen ihre Würde zurück … oder die Menschheit wird vernichtet.
Ändert gemeinsam diese Welt, auf daß sie ein irdisches Paradies werde … oder die Welt wird wieder ein unbewohnter und unbewohnbarer Planet.
Welch eine Macht!
Am nächsten Tag empfing er wieder Ngolala. Es war ein distanziertes Zusammentreffen.
»Das Plutonium ist auf dem Weg in mein Land«, sagte Ngolala. »Wir geben Ihnen Nachricht. Fünfundsechzig Millionen Dollar werden akzeptiert … wenn Sie uns die nötige Zündvorrichtung mitliefern. Mehr jedoch sind wir an einer PSLV-Rakete interessiert, wie sie Indien haben soll. Reichweite achttausend Kilometer.« Und dann grinste er breit, denn es tat ihm gut, den Satz zu sagen: »Damit können wir von unserem Land aus ganz Europa erreichen, bis zum Nordpol.«
Dr. Sendlinger war froh, als Ngolala seine Suite verließ.
Am Abend noch flog er nach Wien und stieg im fürstlichen Imperial ab. Sein geliebtes Hotel Sacher wollte er nicht mit dem Plutoniumschmuggel belasten. Hier bekam er Skrupel, die ihm sonst fremd waren. Das Sacher war für ihn wie eine Oase, in der der Mensch Sendlinger lebte und nicht der Händler des Todes.
Schon immer war Wien für Sendlinger eine der schönsten Städte gewesen, man könnte sagen, er war in sie verliebt, nicht nur wegen der Staatsoper oder dem Burgtheater, den Philharmonikern oder der Spanischen Hofreitschule oder Schloß Schönbrunn, für Sendlinger war Wien der Schlüssel zur europäischen Kultur, auch wenn viele behaupteten, dies sei unbestreitbar Paris. Nur eine Stadt gab es, die außer Wien sein Herz wärmte. Hier ließ er sich bei jedem Besuch vom Fiaker herumkutschieren, lauschte den so oft gehörten Erklärungen des Kutschers. Es war eine Stadt, in der für ihn aus jedem Mauerstein Musik erklang, die ihn beschwingte und den Alltag mit Blumen verschönte: Salzburg. Hier konnte er im Mirabellgarten in der Sonne sitzen und die Zeit an sich vorbeifließen lassen. Hier holte seine Seele Atem. Nirgendwo sonst hatte er dieses befreiende und lebensfrohe Gefühl gespürt, und wenn er im Großen Festspielhaus die neunte Sinfonie von Mahler hörte, dirigiert von Karajan, versank er in sich selbst und konnte weinen. Dann war er nicht mehr der eiskalte Dr. Sendlinger, der mit Plutoniumstaub handelte und dem es völlig gleichgültig war, daß eine Plutoniumbombe Hunderttausende von Menschen auslöschen konnte. Es war, als sei er ein geteilter Mensch … die rechte Hälfte verkaufte den Tod, die linke Hälfte faltete die Hände bei Mozart und Beethoven.
Im Hotel Imperial empfing Sendlinger drei Besucher und gab ihnen die Plutoniumproben mit. Vorsichtig erkundigte er sich auch bei ihnen, welche Meinung sie über die B-Waffen hatten. Die Antworten deckten sich mit seinen eigenen Überlegungen:
»Effektiver als eine Atombombe, aber nicht kontrollierbar.«
»Stellen Sie sich vor, der Wind dreht! Dann wehen die Bakterien zu uns.«
»Eine A-Bombe hat ein festes Ziel … eine B-Bombe kann ganze Länder verseuchen. Das ist nicht der Sinn des Einsatzes.«
Und ein anderer Käufer
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