Tödlicher Staub
sie Natalja sahen. Ihre Blicke fraßen sich in Nataljas Körper.
»Darf ich euch Madame Natalja Petrowna vorstellen?« sagte Madame de Marchandais. »Gestern aus Moskau gekommen. Sie spricht nur deutsch.« Dann nannte sie Namen, die Natalja bereits kannte, man küßte ihr die Hand, ein Mädchen brachte Champagner, und Natalja bat um eine Mischung mit Orangensaft, sehr brav und mit einem unschuldigen Lächeln.
»Ich soll Sie von Herrn Dr. Sendlinger aus Berlin grüßen«, sagte sie und setzte sich. Dabei verschob sich der Rock ihres Cocktailkleides und gab ihre langen, schlanken Beine frei – ein Anblick, der jeden Widerstand sinnlos machte.
»Oh, Monsieur le Docteur Sendlinger!« rief Ducoux begeistert. »Er hat uns nicht vergessen! Er schickt uns die schönste Blume Rußlands!« Sein Deutsch war holprig, aber gut verständlich, und Natalja sprach es auch nicht besser. »Sie kennen Dr. Sendlinger gut?«
»Er ist ein Freund meines Freundes.« Nataljas Antwort war wohlüberlegt … sie gab damit zu verstehen, daß sie nicht verheiratet war.
Awjilah schlug die Beine übereinander. Er sprach noch schlechter deutsch, aber seine Augen sprachen um so deutlicher. Wer ist sie, fragte er sich. Natalja, schön und gut, aber was führt sie nach Paris? Eine aus der Clique der neureichen Russen, aber jeder dieser Typen ist mit Vorsicht zu genießen. Wir wissen, wie sie ihren Reichtum zusammengescharrt haben. Gerade ich als iranischer Handelsattaché kenne ihre Methoden. Wir haben ihre Skrupellosigkeit oft genug zu spüren bekommen und schlucken müssen. Die neuen Herren Rußlands tauchen aus der Dunkelheit auf und entfachen Brände, an denen sie sich wärmen. Gehört dieses Zauberwesen auch dazu? Ist sie die Vorhut einer russischen Invasion? Werde ich von ihr erfahren, was ihre Genossen in Frankreich planen? Aber was hat Dr. Sendlinger damit zu tun?
Diese letzte Frage löste bei ihm einen Gedankenblitz aus.
Atomschmuggel. Beschaffung von Plutonium 239. Das Material kann nur aus Rußland stammen, nur aus Rußland! Sendlinger hatte so etwas angedeutet, und wir Iraner wissen davon, seit der sowjetische Staat zusammengebrochen ist. In Sibirien lagern hundertzwanzig Tonnen hochbrisantes Uran und Plutonium. Soll diese Natalja Petrowna Kontakte aufbauen? Meine geheimnisvolle Schöne, an Anwar kommst du nicht vorbei. In Paris bin nur ich deine Bezugsperson. Nur ich!
Er schwieg und wartete ab, daß die Wölfin sich ihm näherte.
Ducoux dagegen, ahnungslos über die Zusammenhänge, die Awjilah durchschaute, bemühte sich, Natalja sein schlechtes Deutsch zu erklären.
»Mein Vater hat mich gezwungen, Deutsch zu lernen«, hörte er Ducoux sagen. »Er selbst hat es mir beigebracht. Von 1940 bis 1945 war er Kriegsgefangener der Deutschen gewesen und hatte in einer Kohlengrube im Ruhrgebiet gearbeitet. Fünf Jahre schuften für den Feind, für seine Rüstungsindustrie. Welch eine Entehrung für einen Franzosen! Und als er zurückkehrte und ich in die Schule ging, hat er zu mir gesagt: ›Jetzt bringe ich dir Deutsch bei, damit du lernst, jedem Deutschen zu mißtrauen.‹ Diesen Satz aus meiner Kindheit habe ich behalten. Aber alles hat sich ja verändert, in Frankreich wie auch bei Ihnen in Rußland. Die Welt hat ein anderes Gesicht bekommen, wie nach einer kosmetischen Operation … nur frage ich mich oft: Ist es ein schöneres Gesicht geworden? Warten wir es ab. Die Prioritäten haben sich nur verlagert … Europa wird sich einigen, aber dafür wächst die Gefahr in den Drittweltstaaten.« Er blickte zu Awjilah. »Anwar, verzeih mir, aber eure islamischen Fundamentalisten und Fanatiker sind eine Bedrohung. Wir werden das noch zu spüren kriegen.«
»Mag sein …«, erwiderte Awjilah und lächelte leicht ironisch. »Nationale und religiöse Veränderungen hat es schon immer gegeben. Und es gibt immer wieder wirtschaftliche Verbindungen, die uns helfen.« Dabei sah er Natalja an, aber sie wich seinem Blick aus und trank einen Schluck Champagner. Eines der halbnackten Mädchen servierte Sandwiches. Natalja nahm eines mit Lachs und Kaviargarnitur.
»Der Atomhandel ist eine Teufelei!« rief Ducoux und geriet langsam in Fahrt. »Aber wir werden ihn in den Griff bekommen! Die Zusammenarbeit mit den anderen Polizeidienststellen in ganz Europa wird immer mehr ausgebaut, und unsere V-Männer sickern immer mehr in die russische Mafia ein. Der internationale Zusammenschluß ist die beste Waffe gegen die Dealer.«
Awjilah nickte wortlos. Wenn
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