Tödlicher Staub
und ich sage dir: Genieße das Leben! Du hast niemanden zu fragen, du bist frei …«
»Ich bin nicht frei. Ich bin eine Sklavin.«
»Ein Mann sorgt für dich, ist es so? Er hat das Geld, und du mußt gehorchen.«
»So kann man es nennen, Madame. Igor Germanowitsch bestimmt mein Leben.«
»Ich weiß nicht, wer dieser Igor ist … aber mach dich frei von ihm. Bleibe in Paris, hier bei mir als meine junge Freundin. Wirf die Vergangenheit auf den Müll. Sei eine Frau, die ihr Leben selbst bestimmt. Liebe das Leben, und wenn einmal der richtige Mann kommt …«
»Es wird ihn nie geben, Madame. Mein Körper ist nicht meine Seele … ich hasse die Männer.«
»Weil du für sie nur Körper bist. Das wird sich ändern.«
»Nie! Ich habe in meiner Jugend zuviel erlebt, um an Wunder zu glauben.«
»Die Liebe ist ein Wunder. Und du wirst es einmal erleben.«
»Lassen Sie uns nicht weiter darüber reden, Madame«, sagte Natalja. Ihre Stimme klang abweisend. »Ich weiß, daß man mich nicht mehr ändern kann.«
Sie gingen zurück in den ›Roten Salon‹, und Madame hatte den Arm um Nataljas Schultern gelegt, als sei sie ein Kind, das geführt und getröstet werden mußte. Um einen keuschen, sittsamen Eindruck zu machen, ließ sich Natalja frühzeitig zurück zum Ritz bringen, genau zu dem Zeitpunkt, als die angeheiterten Herren unter den Damen ihre Nachtunterhaltung auswählten.
Am nächsten Tag zog Natalja in die Villa von Madame de Marchandais um. Sie bekam ein prunkvolles Zimmer in der ersten Etage, ausgelegt mit dicken Perserteppichen, Gobelins, Brokatsesseln und einem riesigen Bett mit einem reichverzierten goldenen Baldachin und ringsherum Spitzengardinen … eine kleine Insel der Lust. Nebenan befand sich ein Badezimmer aus rosafarbenem Marmor.
»Es gefällt mir«, sagte Natalja, als sei sie in Schlössern aufgewachsen. »Was soll ich tun?«
»Das, wozu Sie nach Paris gekommen sind.« Madame schüttelte abwehrend den Kopf. »Sie verstehen mich noch immer falsch, Natalja. Sie sollen im ›Roten Salon‹ der strahlendste Brillant sein. Wehren Sie sich gegen den Mann in Moskau, der über Sie befiehlt. Werden Sie frei … dann finden Sie auch Ihr Herz.«
Am Nachmittag ließ sich Natalja von Madames Chauffeur mit einem Cadillac in die Innenstadt fahren. Da sie nicht wußte, ob das Telefon abgehört wurde, setzte sie sich in ein Café auf den Champs und telefonierte von hier aus nach Moskau. Sybin war nicht in seinem Penthouse, aber der Bodyguard wußte, wo er zu erreichen war. Er verband sie weiter.
»Mein Liebling!« hörte sie Sybins Stimme. »Ich bin in der Datscha. Wie war es im ›Roten Salon‹?«
»Das gefällt mir gar nicht!« antwortete sie.
»Was gefällt dir nicht?«
»Daß du deine Stundenweiber mit in meine Datscha nimmst!«
»Ich bin allein! Ich sehnte mich nach der Waldluft. Ich schwöre es dir …«
»Wer glaubt dir deinen Schwur? Ich nicht!«
»Ich vermisse dich, Schweinchen …«
»Verdammt! Nenn mich anders. Ich habe das satt, satt, satt! Ich nenne dich ja auch nicht Drecksau!«
»Warum rufst du an?« Sybin ging auf diese Beleidigung nicht ein. »Hast du Probleme?«
»Ich wohne ab heute bei Madame de Marchandais. Sie hat mich eingeladen.«
»Fabelhaft.« Natalja hörte, wie Sybin begeistert in die Hände klatschte. »Jetzt sitzt du mitten im Honigtopf! Hast du Ducoux kennengelernt?«
»Natürlich. Schon gestern abend.«
»Was ist er für ein Mensch?«
»Ein sehr kluger, höflicher, von seiner Aufgabe begeisterter Mann, der schon allerlei mit Kriminellen erlebt hat und die nötige Erfahrung besitzt, die internationale Kriminalität und das Bandenverbrechen zu bekämpfen. Durch die enge Zusammenarbeit mit Interpol und der Polizei und den Geheimdiensten der anderen Staaten weiß er mehr über die Zusammenhänge, als die Mafia ahnt.«
»Finde heraus, was er im Detail weiß!«
»Das braucht seine Zeit, Igor Germanowitsch.«
»Begeistere ihn mit deinen Titten!«
»Du brauchst mir nicht zu sagen, was ich zu tun habe!« sagte sie angeekelt. »Ich führe deinen Auftrag aus.«
»Braves Schätzchen. Und wie ist es mit Awjilah? Hast du ihn auch getroffen?«
»Ja. Er ist schwierig. Mißtrauisch, ironisch, immer auf der Lauer, frißt mich mit den Augen auf, ist aber zurückhaltend.«
»Ändere das und zieh deine goldfarbenen Schlüpfer an.«
»Gib mir keine Ratschläge, verdammt!« schrie sie ins Telefon und schlug mit der Faust gegen die holzvertäfelte Wand der Telefonzelle. »Ich
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