Tödlicher Staub
Suiten und wählten nur das Beste aus. Wie man als Kommunist an soviel Geld kommt? Man muß clever sein, die richtige Fährte aufnehmen und die nötigen Verbindungen knüpfen und pflegen und bei der Privatisierung der Betriebe und Geschäfte der erste sein … dann regnet es Goldstücke vom Himmel wie im deutschen Märchen von der Goldmarie. Wir machen Märchen wahr … und bitte keinen Neid, Genossen! Lenin ist schon lange tot, und Marx war ein Theoretiker. Von Theorie aber kann man nicht leben … die Zeiten ändern sich.
Natalja Petrowna bezog eine der schönsten Suiten des Ritz. Ein großer Blumenstrauß stand auf dem Tisch im Wohnzimmer, daneben ein silberner Champagnerkübel mit einer Flasche Dom Pérignon, ein großer Früchtekorb, zwei Gedecke und zwei Sektgläser.
Zwei? Glaubte man in Paris, daß eine alleinreisende Frau sehr bald ein zweites Gedeck brauchte? Sind Hotelmanager Hellseher?
Natalja lachte, zog sich aus, duschte und legte sich – wie üblich nackt – in das breite Bett, über dem aus rosafarbener Seide ein Himmel gespannt war. Müde von dem Flug schlief sie sehr schnell ein und träumte: Sie lag in den Armen eines Mannes, dessen Gesicht sie nicht sah, und sagte: »Ich liebe dich!« Es war merkwürdig – solche Träume hatte sie öfter. Nur im Traum konnte sie einen Mann lieben und in seiner Umarmung glücklich sein. Nur im Traum …
Am Abend, noch im Bett liegend, griff sie zum Telefon und rief Madame de Marchandais an. Eine Mädchenstimme meldete sich.
»Madame, s'il vous plaît«, sagte Natalja. Sie hatte den Satz aus einem französischen Sprachführer gelernt. Es knackte ein paarmal in der Leitung, dann ertönte die Stimme von Madame de Marchandais. Was sie fragte, verstand Natalja nicht, und so antwortete sie wiederum mit einer Frage:
»Sprechen Sie Deutsch, Madame?«
»Ja, ein wenig …«
»Ich bin Natalja Petrowna Victorowa aus Moskau. Ich bin eben in Paris angekommen und soll Ihnen Grüße von Herrn Dr. Sendlinger übermitteln.«
»Oh, Dr. Sendlinger. Sie kennen Monsieur Sendlinger?«
»Er ist ein guter Freund. Er sagte mir: Wenn du in Paris bist, besuche unbedingt den ›Roten Salon‹ von Madame de Marchandais. Mit herzlichen Grüßen von mir. Und seine Freunde Anwar Awjilah und Jean Ducoux soll ich auch grüßen.«
Diese drei Namen genügten. Madame stellte keine Fragen, sondern sagte mit großer Freundlichkeit: »Ich erwarte Sie, Madame … Wie war doch Ihr Name?«
»Natalja Petrowna.«
»Ihr Russen habt schöne, wohlklingende Namen.«
»Nicht so voller Musik wie die der Franzosen.«
»Wann werden Sie kommen?«
»Wenn es Ihnen recht ist – morgen abend?«
»Sie sind jederzeit willkommen, Natalja Petrowna.«
Das hätten wir, dachte Natalja und fuhr mit dem Lift hinunter in den prunkvollen Speiseraum. Dort wies der Chef de Restaurant ihr einen Tisch zu, von dem aus sie den ganzen Raum überblicken konnte und auch von allen Gästen, die eintraten, gesehen wurde. Die meisten Männer reagierten auf sie … Nataljas Schönheit in dem engen, auf Figur gearbeiteten, rot-weiß-gemusterten Kostüm von Laroche ließ die Augen der Männer aufleuchten. Und Natalja bemerkte dies natürlich. Ihr Kerle seid alle gleich, dachte sie wütend. Ein exotisches Gesicht, ein hoher Busen und lange Beine, das zuckt euch durchs Herz. Sie trug eine abwehrende Miene zur Schau und widmete sich ihrem Essen: gebratenem Täubchen mit Rosmarinschaum und Artischockenböden und Prinzessinnenkartoffeln. Als Nachtisch einen Cassiseisbecher mit Schokoladenstreusel und Sahne. Zum Abschluß gönnte sie sich einen Cointreau.
Paris bei Nacht.
Was hatte sie nicht alles darüber gehört und gelesen! Die Basilika Sacré-Cœur, das Panthéon, Notre-Dame, die Oper, der Arc de Triomphe, der Eiffelturm, der Louvre, das Quartier Latin, die Nachtlokale auf dem Montmartre, die Place de la Concorde – all das muß man gesehen haben, um zu verstehen, warum Paris die Herzen öffnet.
Natalja bestellte ein Taxi und ließ sich durch die Stadt fahren. Der Chefportier, der fließend deutsch sprach, übersetzte Nataljas Wunsch.
»Rundherum!« sagte er zu dem Taxifahrer.
Es regnete. Die Lichtreklamen spiegelten sich in dem glänzenden Asphalt wider, die Boulevards waren fast menschenleer, die Pracht der Stadt verschwamm hinter dem Vorhang aus Regen. Über zwei Stunden kutschierte das Taxi Natalja durch die Regennacht … wohl glänzten alle Sehenswürdigkeiten im Licht der Lampen und Scheinwerfer, aber Paris im Regen
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