Tödlicher Staub
einen CIA-Mann rüber. Mir ist schleierhaft, was seine Aufgabe hier ist. Soll er uns zeigen, wie man mit verdeckten Ermittlern arbeitet? Hält man uns für unfähig? Es ist die typische amerikanische Überheblichkeit, die da exportiert wird. Frankreich kann sich allein helfen! Ich sehe nur Komplikationen auf uns zukommen.«
Ducoux' Nationalstolz war beleidigt worden, auch die anderen Beamten der Sûreté teilten seine Meinung: Wir brauchen keine Amerikaner, um Frankreichs Sicherheit zu garantieren, und nicht nur die Frankreichs, sondern auch die Sicherheit der übrigen Welt, die sich durch eine neue Atommacht bedroht fühlen könnte – vor allem Israel.
Es war vorauszusehen, daß der Spezialist der CIA in Paris einen schweren Stand haben würde. Am besten wäre es, ihn in den ›Roten Salon‹ abzuschieben, sinnierte Ducoux. Dort ist er gut aufgehoben, kann nach Herzenslust vögeln und fällt uns nicht auf die Nerven. Genauso machen wir es: Madame de Marchandais soll sich um ihn kümmern. Er soll Paris genießen und uns in Ruhe lassen.
Kein guter Anfang für Dick Fontana, der zu diesem Zeitpunkt in einer Maschine nach Paris saß.
Es bereitete Sybin großes Unbehagen, daß ihm Natalja Petrowna keine Nachricht aus Paris schickte. Seit vier Tagen hatte sie nicht mehr angerufen. Im Hotel Ritz sagte man ihm, daß Madame Victorowa vor zwei Tagen abgereist sei. Nein, ein Ziel habe sie nicht angegeben. Es sei auch unüblich für ein Haus wie das Ritz, danach zu fragen. Daraus schloß Sybin, daß Natalja zu dieser mondänen Puffmutter in den ›Roten Salon‹ gezogen war, aber sie hatte ihm weder die Anschrift noch die Telefonnummer durchgegeben. Er konnte sich dieses Schweigen nicht erklären.
Am fünften Tag ohne Nachricht rief er Dr. Sendlinger in Berlin an. Er wählte den späten Nachmittag, denn vormittags hatte Sendlinger meistens Verhandlungstermine an den verschiedenen Gerichten, am frühen Nachmittag empfing er besondere Mandanten, an deren Prozessen er besonders gut verdiente, aber so gegen siebzehn oder achtzehn Uhr ließ er keinen mehr in seine Kanzlei. Das war die Zeit, in der er einen starken Kaffee und einen alten französischen Cognac trank, die Zeitungen und Nachrichtenmagazine las oder mit den Mittelsmännern der Atomaufkäufer telefonierte. Er konnte das gefahrlos tun, da sein Telefon nicht abgehört wurde. Dr. Sendlinger hatte zur Berliner Staatsanwaltschaft beste Beziehungen, ein Oberstaatsanwalt war zudem ein Kommilitone aus der Studentenzeit und gehörte zum Stammtisch, der im Dicken Adolf von Adolf Hässler regelmäßig tagte. Wie konnte da ein Verdacht auf Sendlinger fallen? Eine weißere Weste als die von Sendlinger konnte es gar nicht geben.
Sybin versuchte, seine innere Erregung nicht durch seine Stimme zu verraten, und begrüßte Sendlinger mit einem: »Hallo! Hier ist die Stimme Moskaus! Wir melden: Wodka und Weiber bereit zum Verbrauch!«
»Igor Germanowitsch!« Sendlinger lachte. »Wieviel Gramm ›Grüner Teufel‹ hast du schon getrunken? Gibt es was zu feiern?«
»Ich bin nüchtern wie eine Holzsandale!« Sybin räusperte sich. Wie formuliert man die Fragen am besten, ohne daß Sendlinger sich wundert. Nataljas Schweigen ging ihn nichts an. »Es ist merkwürdig … aber seit deiner Erzählung muß ich immer öfter an den ›Blauen Salon‹ in Paris denken.« Er sagte bewußt ›blau‹.
»›Roter Salon‹, Igor.«
»Rot! Natürlich. Lohnt es sich, nach Paris zu fliegen?«
»Wegen Madames Zirkel?« Sendlinger schüttelte den Kopf. »Nein! In Moskau gibt es schönere Mädchen als im ›Roten Salon‹, vor allem jüngere. Die Damen, die dort Bäumchen-wechsle-dich spielen, sind über das Mittelalter hinaus. Die meisten jedenfalls. Attraktiv und elegant, solange sie geschminkt sind.«
»Was ist das eigentlich für ein Laden?«
»Ein Edelbordell, das habe ich dir doch erzählt. Nur sitzen da keine käuflichen Huren herum, sondern Damen der feinen Gesellschaft von Paris. Ehefrauen, deren Männer einen bekannten Namen haben und die außerhalb des Salons unnahbar und unantastbar wirken. Geschmückte Engel der Moral. Aber wehe, wenn sie bei Madame sind – da entdecken sie, daß ein Bett nicht nur zum Schlafen erfunden wurde. Aber deswegen nach Paris zu fliegen, wäre sinnlose Verschwendung. So etwas kannst du in Moskau billiger und vor allem besser haben. Eure Frauen haben den besten Ruf!« Sendlinger hielt inne und wußte plötzlich, warum sich Sybin nach dem ›Roten Salon‹
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