Tödlicher Staub
erkundigte. »Ist Natalja in Paris?«
»Ja. Warum?« Das klang abwehrend, aber einen Sendlinger schüttelt man nicht ab.
»Sie wollte doch den ›Roten Salon‹ besuchen.«
»Hat sie.«
»Und?«
»Sie hat Ducoux und Awjilah kennengelernt.«
»Bravo! Wer ist der Bessere im Bett?«
»Natalja hat noch mit keinem geschlafen! Sie gibt sich hochgeschlossen wie früher eine russische Großfürstin.«
»Dann muß sie sich gewaltig verändert haben.« Sendlinger lachte wieder. »Natalja bei Madame – das müßte doch eine Sensation sein! Was erzählt sie dir?«
»Wenig.« Sybin ballte die Faust. Es hatte keinen Sinn, Sendlinger zu täuschen, dazu war er zu intelligent. »Sagen wir eher, nichts.«
»Und das regt dich auf? Igor Germanowitsch, das ist ein Beweis, daß es ihr gutgeht. Sie ist voll mit deinem Auftrag beschäftigt. O Gott, bist du plötzlich eifersüchtig? Willst du deshalb nach Paris? Sybin, die Grundregel in unserem Geschäft ist: keine persönlichen Gefühle! Kein Seelenschmalz! Gefühle vernebeln das Gehirn, und im Nebel zu fahren ist immer gefährlich!« Sendlingers Stimme wurde ernst und von großer Eindringlichkeit. »Igor, wenn du jetzt in Paris auftauchst, ist alles umsonst gewesen. Das Geschäft ist kaputt! Ein neureicher Russe drückt Ducoux die Hand. Er ahnt doch sofort, woher dein Geld stammt. Vom Proletarier zum Millionär … den Aufstieg wittert doch ein blinder Hund. Bleib bloß in Moskau!«
»Ich bin unruhig, Paul.«
»Du lieber Himmel … du liebst Natalja wirklich?«
»Ja, ich liebe sie.«
»Obwohl du weißt, wie und was sie ist?«
»Ich weiß auch, wie und was ich bin! Natalja und ich gehören zusammen. Jetzt, da sie nicht bei mir ist, vermisse ich sie. Sie fehlt mir überall. Ich kann hundert Frauen haben, wenn ich will … aber ohne Natalja werde ich immer einsam sein. Ich brauche sie wie ein Vogel den Himmel, wie ein Wolf die Taiga, wie ein Kosak sein Pferd. Du verstehst das nicht …«
»Nein. Natalja ist zur Liebe nicht fähig.«
»Das weiß ich … aber sie ist um mich, ich kann sie ansehen, ich kann sie bewundern, ich besitze sie …«
»Ihren Körper …«
»Sie ist ein Teil meines Lebens geworden!«
»Nur solange du sie bezahlst, ihr eine Datscha schenkst, sie in Gold und Perlen und Edelsteine packst. Sie ist kalt und verkauft sich an dich.«
»Aber sie gehört mir! Ich werde Natalja nie wieder wegschicken. Nie mehr!«
»Du bist ihr hörig! Sie hat dich mit Haut und Haaren verschlungen.«
»Nenn es, wie du willst! Ich bin der glücklichste Mensch der Welt, wenn sie bei mir ist.«
»Trotzdem fährst du nicht nach Paris! Hörst du, Igor Germanowitsch: Du fährst nicht zu ihr! Sie wird ihren Auftrag erfüllen und dann nach Moskau zurückkehren, zu dir. Dann kannst du sie von mir aus wieder festhalten … aber erst muß sie die Informationen bringen. Igor, wecke deine Vernunft wieder auf! Du bist einer der mächtigsten und reichsten Männer der GUS-Staaten, du hast mehr Einfluß als Jelzin, du regierst mit deinem ›Konzern‹ das Land, nicht die Männer im Kreml. Und wenn wir das Nukleargeschäft kontrollieren, sind wir die Herrscher der ganzen Welt.«
Und den Markt der biologischen Waffen, dies ist die Zukunft, aber das sprach er nicht aus.
»Und wenn sie in den nächsten Tagen nicht anruft?« Die Stimme klang so kläglich, daß Sendlinger so etwas wie Mitleid verspürte.
»Dann schlucke es, Igor!« sagte er hart. »Sie wird ihre Gründe haben … und sie können nur gut für uns sein. Warte es ab. Ihr Russen seid doch Weltmeister im Warten und Dulden.«
Und damit beendete Dr. Sendlinger das Gespräch und ließ einen traurigen Sybin zurück.
Und Wawra Iwanowna lebte immer noch.
Für Nikita Victorowitsch war das ein Wunder. Wäre er gläubig gewesen, hätte er gebetet und den nächsten Popen um einen Segen gebeten, so aber versuchte er verzweifelt, Sybins Rat zu befolgen und Wawra mit Milch vollzupumpen. Allem Anschein nach half es, Wawra fühlte sich wieder stärker, ihre Hautfarbe verlor den gelblichen Ton, ihr Haarausfall kam zum Stillstand, und die Haare wuchsen wieder nach. Gehorsam trank sie am Tag soviel Milch, wie sie nur konnte … Nikita hatte allen Wein versteckt, den Selbstgebrannten Wodka verschenkt, die Liköre weggeschüttet, und auch Wasser bekam Wawra nicht zu trinken, nur Milch … Milch … Milch. Das weiße Wundermittel besorgte Nikita direkt von den Bauern in der Umgebung von Krasnojarsk; jeden Tag fuhr er mit seinem kleinen Wolgawagen
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