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Tödlicher Staub

Tödlicher Staub

Titel: Tödlicher Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Marchandais legte den Arm um Nataljas Taille. »Mach ihm eine Freude.«
    »Ich soll mit Ducoux auf ein Zimmer gehen?«
    »Und wenn es nur einmal ist. Es würde ihn glücklich machen … er hat es verdient.«
    »Bin ich eine Hure?«
    »Du bist kein Engel. Ich habe einen Blick dafür. Du bist dein Körper. Er ist eine Hülle, ein Einkaufsbeutel, in den man etwas hineinsteckt. Verändert sich dadurch der Beutel? Man wäscht ihn, und er ist wieder sauber.«
    Natalja ließ Madame stehen, ging in die Eingangshalle und auf die Toilette. Dort überdachte sie nüchtern ihre Lage.
    Ducoux mußte ertragen werden, das war ihr klar. Ohne sich hinzugeben und damit Ducoux sein letztes bißchen Verstand zu rauben, kam sie an die Dokumente nicht heran, die Sybin brauchte. Aber jetzt, da sie Ducoux' Lebensgeschichte kannte, hatte sie Mitleid mit ihm. Das war für sie ein neues, fremdes Gefühl. Mitleid. Selbst als man ihren Vater aus der Fabrik hinauswarf und ihre Mutter auf dem Schwarzmarkt alles verkaufte, was sie entbehren konnten, hatte sie kein Mitleid empfunden, sondern Wut. Blanke Wut. Und sie hatte sich gesagt: Ich werde diese Männergesellschaft ausnutzen, ich werde die Männer vor mir kriechen lassen, ich werde meine Stiefel auf ihren Nacken setzen, ich werde sie zum Wahnsinn treiben, ich werde sie aussaugen und sie zerstören.
    Der weitere Hergang ist bekannt: Offiziersliebchen, Direktorenhure, Nackttänzerin, Sexakrobatin, Geliebte eines der mächtigsten Männer Rußlands … eine Mafiakönigin. Ein Körper als Geschäftseinlage. Ein Körper als Beteiligungskapital. Das Ziel ist erreicht. Warum sollte sie jetzt den armen, gequälten, nach Liebe suchenden Ducoux vernichten? Das hatte er nicht verdient.
    Ist das Mitleid, fragte sie sich, oder ein Hauch von Skrupel? Ein Anflug von Menschlichkeit?
    Jemand rüttelte an der Toilettentüre.
    »Ich komme gleich!« rief Natalja.
    »Nun mach schon!« Eine helle Frauenstimme. »Ich warte schon seit Minuten …«
    »Nur noch einen kleinen Augenblick.«
    »Mein Gott, soviel kann man doch nicht im Darm haben!«
    »Jeder scheißt auf seine eigene Art!« schrie Natalja.
    Dann riß sie die Tür auf. Ihre Augen funkelten.
    »Oh, Sie sind es«, sagte die wartende Dame beschämt. »Pardon, das habe ich nicht gewußt.«
    Sie war wirklich eine Dame. Die Gattin eines Staranwalts. Sie bevorzugte Männer mit Glatze, was sie mehrmals pro Woche im ›Roten Salon‹ kundtat.
    Natalja kehrte in den Salon zurück. Madame stand an der Tür, als habe sie auf Natalja gewartet.
    »Ich gehe zu Bett«, sagte Natalja. »Ich bin müde.«
    »Jetzt schon? Aber der Abend hat doch gerade erst begonnen. Es kommt noch eine Delegation von schwedischen Fabrikanten.«
    »Meine Fabrik ist geschlossen!« Das klang frivol, aber dennoch endgültig. »Ich sehe genug einsatzbereite Maschinen.«
    »Kindchen, ich wollte dich nicht beleidigen …« Madame war ehrlich betroffen.
    »Das kann man nicht. Ich habe einen Körper aus Wachs, davon tropft alles ab.«
    In ihrem Zimmer war sich Natalja nicht klar darüber, ob sie Sybin noch anrufen sollte. Was sollte sie ihm sagen? Daß der Attaché Awjilah ein Verbindungsmann zu Plutoniumanbietern war? Das nutzte Sybin wenig … er wollte Namen haben. Namen, um die Konkurrenz zu liquidieren. Von Awjilah hatte er schon durch Dr. Sendlinger gehört und ihn auf seine Liste gesetzt. Aber Sendlinger hatte interveniert.
    »Ich werde diesen Iraner auf unsere Seite holen«, hatte er gesagt. »Ihm ist es egal, wer liefert. Die Hauptsache ist: Es wird geliefert. Vielleicht kann Natalja diesbezüglich etwas vorfühlen.«
    Natalja, immer wieder Natalja. Wie die Arie des Figaro. Natalja hier, Natalja dort, Natalja oben, Natalja unten …
    Sie beschloß, nicht anzurufen.
    Sie legte sich auf das breite Bett, starrte an den seidenen Betthimmel und dachte an Ducoux.
    Ich kann ihn nicht zerbrechen, ich bringe es nicht fertig … aber wie komme ich an die Geheimakten heran, ohne seinen Verstand außer Kraft zu setzen? Und wenn ich sie habe, was wird er dann tun? Er ist Offizier, er lebt mit der heiligen Ehre eines Franzosen und Patrioten … er wird nur eine einzige Konsequenz kennen, die Schande seines Verrates zu tilgen und seine Ehre wiederherzustellen: Er wird den Lauf seiner Pistole an seine Schläfe setzen. Er wird wegen mir sterben …
    Wer hilft mir, wenn ich schreie: Was soll ich tun …?
    Da sich Natalja so früh zurückgezogen hatte, entging ihr, daß Ducoux einen Anruf erhielt und, ohne sich

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