Tödlicher Staub
von den anderen Gästen zu verabschieden, aus dem ›Roten Salon‹ stürmte. Nur Madame erwischte ihn noch in der Garderobe.
»Was haben Sie, Jean?« fragte sie überrascht. »Es ist doch nicht wegen Natalja Petrowna …?«
»Ich muß sofort weg! Dienstlich.«
»Jetzt?«
»Wir sind immer bereit, Louise. Es ist etwas geschehen.«
»Ein Mord …?«
»Damit haben wir nichts zu tun.« Ducoux zögerte. »Versprechen Sie völliges Stillschweigen?«
»Ich schwöre es sogar!«
»Im Flughafen Charles de Gaulle ist eine Verhaftung erfolgt. Das heißt, sie ist verpatzt worden! Die Gepäckkontrolle hat …« Er winkte ab. »Ich erzähle es Ihnen morgen. Ich muß sofort hin.«
Im Flughafen erwartete man Ducoux in einem Raum der Zollpolizei. Draußen vor der Tür hielten drei Flics Wache, im Zimmer standen mindestens zehn Beamte rundherum an der Wand, und mitten im Raum stand ein Hartschalenkoffer. Siebzig mal vierzig mal zwanzig Zentimeter, hellblau mit grauen Streifen. Sogar ein Arzt der Airportklinik Charles de Gaulle war gekommen und drückte sich wie die anderen an die Wand.
Ducoux schüttelte den Kopf. »Meine Herren«, sagte er voll Sarkasmus, »Ihr Abstand vom Objekt könnte im Ernstfall Ihr Leben nicht retten.« Er ging auf den Koffer zu, nahm ihn am Henkel und hatte Mühe, ihn hochzuhalten. Er ließ ihn vorsichtig wieder auf den Betonboden zurücksinken. »Ich bitte um Ihren Bericht!«
»Bei der Kofferkontrolle fiel uns auf, daß der Passagier schwer an ihm zu schleppen hatte, als wenn er Blei transportierte.«
»Da haben Sie ganz richtig gedacht. Da ist Blei drin, eine Menge Blei.«
»Wir haben den Mann also kontrolliert, haben ihn aufgefordert, den Koffer zu öffnen, aber er tat es nicht. Seine Antwort: Das geht nicht. Ich habe dafür keinen Schlüssel. Ich frage: Wieso keinen Schlüssel? Sie haben den Koffer doch gepackt! Der Mann antwortet nicht, stößt meinen Kollegen Brunell zur Seite und flüchtet. Hinaus aus der Zollkontrolle in die große Halle. Dort ist er im Gewühl der Passagiere untergetaucht. Die Polizei hat sofort alles abgesperrt, aber der Mann war verschwunden. Auf ihn muß draußen ein Auto gewartet haben.«
»Oder er saß gemütlich im WC! Ein alter Trick!« Ducoux betrachtete den hellblauen Schalenkoffer und ahnte, was er enthielt. Er wußte in diesem Augenblick aber auch, daß mit diesem Fund eine Lawine losgetreten wurde, die internationales Entsetzen auslöste. Der Koffer wurde zwar sofort zur Geheimsache erklärt, aber bei irgendeiner Dienststelle gab es immer ein Loch, durch das Informationen hinaussickerten. Er kannte Zeitungen und Magazine, die Riesensummen für solche Informationen zahlten. Der Skandal war vorprogrammiert.
»Ich lasse den Koffer gleich abholen«, sagte Ducoux. »In spätestens einer Stunde wissen wir, was transportiert wurde.«
Knapp eine Stunde später, wie erwartet, lag der Bericht des Leiters des Instituts für Atomphysik, Professor Dr. Jérôme Pataneau, auf Ducoux' Tisch. Inhalt des Koffers: In einem gut gesicherten Bleicontainer waren zweihundert Gramm reines, waffenfähiges Plutoniumgranulat mit einer Reinheit von achtundneunzig Prozent. Herkunftsland vermutlich Rußland.
»Da haben wir den Mist nun im eigenen Haus!« sagte Ducoux zu den Beamten seiner Sonderkommission, die um ihn versammelt waren. »Merde! Zweihundert Gramm … das reicht aus, um ganz Paris zu vergiften. Meine Herren, dort, wo diese zweihundert Gramm herkommen, ist noch mehr unterwegs. Dieses Mal nicht über Deutschland – jetzt sind wir dran! Der Koffer kommt aus Moskau, das steht auf dem Kofferanhänger, und ich habe hier die Passagierliste der Maschine vor mir liegen: hundertneunundachtzig Namen, neun Nationen. Aber es ist kein russischer Name dabei! Alles, was wir wissen, ist: Hier ist ein Koffer aus Moskau mit waffenfähigem Plutonium gelandet. Der Kurier ist flüchtig … und das ist eine Blamage für die französischen Sicherheitsbehörden! Ein Skandal! Hätten wir den Mann, hätten wir auch eine Spur. So irren wir wieder wie in einem Labyrinth herum, ohne Hoffnung, den Ausgang zu finden. Ich sage noch einmal: Merde!«
Die Meldung, die in den nächsten Stunden in alle Welt flog, zu allen befreundeten Geheimdiensten, löste bei den Dienststellen die unterschiedlichsten Reaktionen aus.
Die amerikanische CIA teilte mit, daß ein hochqualifizierter Mitarbeiter nach Paris unterwegs sei.
Der israelische Geheimdienst MOSSAD drückte seine tiefe Sorge aus, daß der Plutoniumhandel
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