Tödlicher Staub
Zögern:
»Champagner.«
»Russischer oder französischer?«
»Französischer.«
Auch das wurde von den Herren registriert: Sie hatte also Geld. Man tippte auf die Tochter eines amerikanischen Millionärs, die eine Reise durch Rußland unternahm und der man an der Hotelrezeption gesagt hatte, sie müsse unbedingt in das Tropical, wenn sie etwas erleben möchte.
Victoria hatte gerade ihr erstes Glas Champagner getrunken, als sie an den Nebentischen eine merkwürdige Unruhe bemerkte. Der Geschäftsführer stand plötzlich vor ihr und spielte den Verlegenen.
»Darf ein Gast bei Ihnen Platz nehmen?« fragte er. »Ihr Tisch ist der einzige, an dem noch ein Platz frei ist.«
Bevor sie antworten konnte, wurde der Geschäftsführer mit einer Armbewegung zur Seite geschoben. Ein eleganter Mann mit einem schmalen Lippenbärtchen, schwarzen anliegenden Haaren und lebendigen dunklen Augen beugte sich zu ihr hinunter.
»Natürlich hat die Lady nichts dagegen, daß ich den freien Platz belege«, sagte der. »Oder irre ich mich da?«
Victoria musterte den Mann kurz. Typ Hollywood der dreißiger Jahre. Pomadisierte Haare, Menjoubärtchen, übertriebene Eleganz. Sie sah auch die Finger mit den großen Edelsteinringen, protzig, ja fast lächerlich, und sie bemerkte, daß ihm an der linken Hand ein Finger fehlte.
»Bitte!« sagte sie reserviert und zeigte auf den freien Stuhl. »Er gehört Ihnen.«
Sybin setzte sich. In der Bar ertönte ein leises Raunen, das von der Musik auf der Bühne verschluckt wurde. Natürlich Sybin, wer sonst! Laß uns alle Hoffnungen begraben … gegen Sybin kommt niemand an. Außerdem ist das Leben viel zu kurz, um es aufs Spiel zu setzen.
Unaufgefordert brachte der Kellner für Sybin Champagner und eine silberne Schale mit frischem Obst. Ein Stammgast, stellte Victoria fest. Ein interessanter bunter Vogel, der da an ihren Tisch geflattert war. Das wurde noch bestätigt, als eines der Mädchen auf der Bühne ihren Slip abstreifte und ihn ihm zuwarf. Victoria fing ihn auf und legte ihn Sybin neben das Champagnerglas. Irgend jemand im Hintergrund klatschte, aber da niemand in den Beifall einfiel, verebbte er schnell wieder.
»Fangen Sie immer Slips auf?« fragte Sybin, um ein Gespräch zu beginnen.
»Nur, wenn sie mir entgegenfliegen. Ist das die russische Art? Gehört das zum Volkstum? Von an die Wand geworfenen Wodkagläsern habe ich schon gehört.«
»In diesem Lokal ist alles möglich.« Sybin gab seiner Stimme einen tieferen, sinnlichen Klang. Interessiert glitt sein Blick über Victorias Halsausschnitt, über die Wölbungen ihrer Brüste und über ihr weißblondes Haar – sie war ein sehr schöner Anblick. Vor allem die blonden Haare regten ihn ungemein an. »Darf ich mich Ihnen vorstellen? Mein Name ist Igor Germanowitsch Sybin …«, sagte er.
»Victoria Miranda.«
»Ein Name wie Musik von Puccini.«
»Sie kennen seine Opern?«
»Ich liebe Puccini. Sie sind Italienerin?«
»Amerikanerin.«
»Aber der Name Miranda …«
»Mein Vater war Mexikaner, meine Mutter lebt in Montana und ist in Phönix geboren.«
»Sie bereisen Rußland privat?«
»Ja und nein. Ich habe Kunstgeschichte studiert und will mir jetzt die Stätten der russischen Kunst ansehen. Also halb Ferien, halb Arbeit. Ich möchte morgen das Andrej-Rubjow-Museum für altrussische Kunst im Andronikowkloster besichtigen. Dort soll es die schönsten Ikonen geben.«
»Sie haben sich viel vorgenommen, Miß Miranda. Das schafft man ohne kundige Begleitung nie. Darf ich mich als Führer empfehlen?«
»Sie verstehen auch etwas von Kunst?«
»Ich verstehe von allem etwas.« Das klang nicht überheblich, sondern überzeugend. »Meine Interessen sind vielfältig.« Sybin lächelte nach diesem Satz – so kann man es elegant ausdrücken.
Die Darbietungen auf der Bühne waren zu Ende, der Vorhang fiel. Ein Balalaikaorchester übernahm die Unterhaltung. Sie spielten Jazz und Country-Music auf den alten Instrumenten, eine nicht alltägliche Musik. Victoria gefiel sie.
Der Abend verlief harmonisch. Sybin spielte auf der Klaviatur seines Charmes und stellte fest, daß Miß Miranda offensichtlich Interesse für ihn zeigte. Aber er hütete sich, das zu testen. Die Konversation bewegte sich zwischen Kunst und Musik, Sport und russischer Geschichte, und Victoria wunderte sich, wie so ein Parvenü mit mindestens zweihunderttausend Dollar an den Fingern wirklich über alles plaudern konnte, ohne langweilig zu werden.
Gegen zwei Uhr
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