Tödlicher Staub
Die Russen haben Perestroika und Glasnost falsch verstanden. Sie verwechseln Freizügigkeit mit Anarchie.«
»Dann wollen wir beim Tropical anfangen.« Victoria lehnte sich zurück. Reed zuckte mit den Schultern. Das Mädchen hat einen Stich! Sie will ins Tropical, einfach so, als wenn man in den Cafégarten des New Yorker Hotels Plaza geht.
»Haben Sie vor, in das Tropical zu gehen?« fragte er, um sich zu vergewissern.
»Ja.«
»Allein?« Reed winkte ab. »Unmöglich. Eine so attraktive Frau wie Sie allein unter besoffenen russischen Millionären … undenkbar! Wenn Sie die Bar besuchen, stelle ich zu Ihrer Begleitung zwei Mann ab.«
»Allein, Kevin!«
»Feilschen wir wie auf einem orientalischen Markt: einen Mann.«
»Nein! Ich gehe allein. Ich habe keine Angst, daß ich belästigt werde.«
»Der Central Park in New York bei Nacht ist jetzt sicherer als eine Moskauer Nacht. In New York kümmert sich die Polizei wenigstens, wenn auch ohne Erfolg, darum – in Moskau zucken die Milizionäre nur die Schultern und sagen: ›Wenn man so dumm ist, nachts durch Moskauer Parks zu gehen …‹ Aber gut, akzeptiert … Sie wollen allein ins Tropical. Aber Sie werden dennoch nicht allein sein – zwei unserer V-Männer werden schon in der Bar sitzen, bevor Sie hereinkommen.«
»Ich möchte in keiner Weise behindert werden!«
»Versprochen. Wir greifen nur ein, wenn man Sie abschleppen sollte.« Reed faltete die Hände über seinem Bauchansatz. »Noch etwas, Victoria?«
»Vorerst nicht. Am wichtigsten ist die Wohnung.«
»Natürlich. Sie ist eine Art sturmfreie Bude.« Das war im höchsten Maße anzüglich, aber Victoria nahm es ohne Regung hin und antwortete:
»Unter anderem … wenn es nötig ist …«
»Wann wollen Sie Ihre Tour beginnen?«
»Heute abend.«
»Ich besorge Ihnen die Liste. In zwei Stunden ist sie bei Ihnen. Und einen neun Millimeter Smith & Wesson bekommen Sie auch.«
»Ich brauche keine Pistole. Ich beherrsche Kung-Fu.«
»Das können die meisten Bodyguards der Bosse auch. Ich würde mich darauf nicht einlassen. Eine Kugel ist allemal schneller.«
»Sie sprechen ja so, als ginge ich geradewegs in die Hölle.«
»Hölle ist eine biblische Erfindung. Wenn Sie dort ankommen, sind Sie bereits tot. Hier aber leben Sie, und das ist ungleich schmerzhafter.«
Das Gespräch war damit zu Ende. Reed verabschiedete sich und organisierte Victorias ›Ganovenausflug‹, wie er es bezeichnete. Er stellte zwei V-Männer zur Verfügung, ließ eine Liste aller In-Lokale anfertigen und unterrichtete den Botschafter von den geplanten Aktivitäten des Lieutenants Miranda.
»Leider können wir sie nicht daran hindern«, sagte der Botschafter. »Sie gehört nicht zum Botschaftspersonal. Sie untersteht nur der CIA! Wir können sie nur beschützen. Aber da ist sie ja bei Ihnen in den besten Händen, Kevin.«
Reed bezweifelte das, aber er sprach nicht darüber.
Am Abend streifte Victoria ein enges Cocktailkleid über ihre makellose Figur, legte ein diskretes Make-up auf und band die blonden Haare im Nacken mit einer roten Schleife zusammen. Jetzt sah sie aus wie ein achtzehnjähriges Schulmädchen, das die Abwesenheit ihrer Eltern ausnutzte, um sich einen Abend lang zu amüsieren. Oder wie eine raffinierte Nutte, die auf Kindfrau machte. Je nachdem, wie man sie sehen wollte …
Ein Taxi brachte sie zum Tropical. Da sie eine Ausländerin war und zudem eine Nutte, als die sie der Taxifahrer nach einem kurzen Blick einschätzte, verlangte er einen enorm überhöhten Fahrpreis, und Victoria zahlte ohne Zögern.
Auf der Bühne des Tropical lief die erste Sexshow. Mit geübtem Blick erkannte der Türsteher sofort die Ausländerin; ein aalglatter Geschäftsführer wies ihr einen Tisch in der ersten Reihe zu.
Victorias Erscheinen in der Bar löste gespannte Aufmerksamkeit aus. Ein paar Herren mittleren Alters, in Maßanzügen, aber mit offenen Hemdkragen, erkundigten sich beim Geschäftsführer, wer der ›Neuzugang‹ sei.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Eine Ausländerin, das ist sicher. Vielleicht eine Amerikanerin … der Sprache nach. Sie ist zum ersten Mal hier. Meine Herren, halten Sie sich zurück, sie könnte verabredet sein.«
Das Programm auf der Bühne fand Victoria ekelhaft. Die Mädchen waren hübsch, zugegeben, aber was sie mit ihren schönen Körpern vollführten, war übelste Pornographie. Ein Kellner fragte sie auf englisch, was er bringen dürfe, und sie antwortete ohne
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