Tödlicher Staub
Sie ekelt sich vor ihnen.«
»Und wenn sich das geändert hat?«
»Nicht bei Natalja. Irgendein Kindheitserlebnis muß bei ihr so tief sitzen, daß es sie total verändert, sobald sich ihr ein Mann nähert. Da hilft auch die Pariser Luft nichts. Ein anderer Mann? Niemals!«
»Kennst du Natalja so gut?«
»Ich habe sie in Moskau beobachtet … und sie hat es mir gesagt. Indirekt, aber deutlich genug. Glaub mir, ich wäre gern mit ihr ins Bett gegangen. Sie ist eine Edelnutte, habe ich gedacht. Sie treibt's mit jedem, von dem sie sich einen Vorteil erhofft. Ich habe mich gründlich geirrt. Vor einem anderen Mann braucht Sybin keine Angst zu haben.« Dr. Sendlinger stand auf und zog sein Jackett gerade. »Ich rufe jetzt Ducoux an. Und was machst du?«
»Ich muß auf Sybin aufpassen, sagst du. Ein Wachhund darf seinen Posten nicht verlassen.«
»Sybin wird auf seinem Zimmer bleiben. Sieh dir Paris an, aber fall nicht in eine Löwengrube, die Mademoiselle heißt …«
Waldhaas setzte sich an die um diese Stunde leere Bar, trank ein Bier und überlegte, was mit der Zeit anzufangen wäre. Er entschloß sich, Notre-Dame zu besichtigen und dann an den Ufern der Seine bei den Boukinisten in den antiquarischen Kostbarkeiten zu wühlen. Alte Bücher – man konnte Schätze darunter entdecken.
Sybin blieb allein im Hotel zurück, aber darauf hatte er nur gewartet. Gegen sieben Uhr abends rief er bei Dr. Sendlinger und Waldhaas in deren Suiten an und erhielt keine Antwort. Um ganz sicher zu sein, daß sie das Crillon verlassen hatten, fuhr er mit dem Lift hinunter in die Halle und tat so, als habe er gerade das Hotel betreten. Der Chefportier starrte auf das Schlüsselbrett und schüttelte den Kopf. Er sprach englisch.
»Die Gentlemen haben das Haus verlassen. Wollen Sie eine Nachricht hinterlegen, Sir?«
»Nein, danke. Ich melde mich wieder.«
Sybin verließ das Crillon und ließ sich ein Taxi herbeiwinken. Während Dr. Sendlinger wie ein alter Freund von Ducoux empfangen wurde und Waldhaas an der Seine bummelte und Mädchen nachblickte, ließ sich Sybin zum Hotel Monique fahren und folgte damit dem Gefühl, Natalja zu treffen. Sie wird kommen, das spürte er wie ein Eisen, das sein Herz umschloß. Sie wird kommen, und dieser Mann wird sie wieder erst morgen früh zurückbringen in die weiße Villa am Bois-de-Boulogne. Sie wird die ganze Nacht in seinen Armen liegen und ihn mit der Leidenschaft lieben, die er kannte und die bei ihm nur gespielt war. Hier aber schien ihre Liebe echt zu sein, ihr wochenlanges Schweigen war ein Beweis dafür. Ein Mann, dem sie nur ihren Körper anbot, hätte sie nicht daran hindern können, in Moskau anzurufen.
Sybin bezahlte, stieg aus dem Taxi und stellte sich dem Hotel gegenüber in den Hauseingang eines verwahrlosten Hauses, in dessen Treppenhaus es nach gebratenem Fisch stank. Wie bei Onkel Wanja, dachte Sybin. Damals, als kleiner, armer Junge war ich froh gewesen, wenn ich einen gebratenen Stör bekam, den der Onkel selbst gefangen hatte.
Seine Ahnung bestätigte sich: Nach zwanzig Minuten Warten hielt ein großer Citroën vor dem Hotel Monique, und Natalja stieg aus. Sie schloß den Wagen ab und verschwand durch die alte Eichentür.
»Ich brauche heute dein Auto«, hatte sie zu Madame de Marchandais gesagt. »Gibst du ihn mir?«
»Du willst wieder zu ihm?«
»Ja.«
»Keinen Abend bist du mehr zu Hause, das fällt allen auf. Und daß Bob Fulton nicht mehr kommt, erkläre ich immer damit, daß er für seine Firma unterwegs ist. Man glaubt es mir, nur Ducoux macht ein Gesicht, als wolle er mir sagen: Lüg nicht so infam!«
»Ich liebe Bob … ich liebe ihn wirklich, Louise. Ich habe zum ersten Mal gefühlt, was Liebe ist. Es ist wie ein Wunder über mich gekommen.«
»Es mußte einmal geschehen, das habe ich gewußt. Aber ausgerechnet ein Amerikaner? Ein Vertreter für Cocktails!«
»Er hätte auch Schafzüchter sein können …«
»Dann hätte ihn Ducoux nicht mitgebracht.« Madame nickte und küßte Natalja auf die Stirn. »Nimm meinen Wagen. Was lüge ich den anderen heute vor? Wann kommst du zurück?«
»Morgen früh … aber früher als sonst. Ich muß noch einen Koffer packen.«
»Du willst verreisen?« Madame war entsetzt. Die Nachricht traf sie so unerwartet, daß sie sich in einen der Sessel fallen ließ. »Zurück nach Moskau?«
»Nein. Mit Bob nach Marseille.«
»Was willst du in Marseille?«
»Bob will dort eine Filiale gründen. Ich begleite ihn.« Sie sah,
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