Tödlicher Staub
Hand schaukeln. Und wenn auch das nichts brachte?
Lukas brauchte das Auto nicht in die Werkstatt bringen zu lassen.
Er öffnete die Kühlerhaube, starrte auf den Motor mit seinen vielen Kabeln und Klemmen und Behältern, leuchtete mit einem der starken Halogenhandscheinwerfer in jede Ecke und fand keinen ›Fremdkörper‹ in der für einen Laien verwirrenden Maschine. Aber Lukas war kein Laie … noch einmal leuchtete er den Motor ab und entdeckte einen kleinen Kasten aus Metall. Er war zwischen dem Wasserbehälter für die Scheibenwaschanlage und dem Behälter für die Bremsflüssigkeit befestigt. Lukas leuchtete ihn an … kein Kabel führte irgendwohin, er hatte keinerlei Verbindung zum Motor oder zu anderen Teilen, aber er war fest verlötet.
Verlötet? Im Motorblock Lötstellen? Das war neu. Und welche Funktion hatte ein Kasten, der keinerlei Verbindung besaß? Ein kleiner, schwarzlackierter Kasten, unauffällig und bei einem flüchtigen Blick zu übersehen.
Lukas spürte ein Kribbeln unter der Kopfhaut. Er nahm einen Hammer und schlug vorsichtig auf die Breitseite des stählernen Behälters. Es gab einen dumpfen Laut, und dann brach der Kasten ab … seine Lötstellen waren nur punktförmig angebracht, und es war nur ein leichter Schlag nötig, um ihn abzutrennen. Und jetzt zeigte sich auch, daß er nicht zum Motor gehörte und keinerlei Funktion hatte.
Lukas atmete ein paarmal tief durch, holte den Kasten aus dem Motorraum und trug ihn in das Haus.
»Hier!« sagte er. »Das habe ich gefunden. Nun sagt noch einmal, daß dieser Londricky ein harmloser Verirrter ist.«
»Und was ist drin?« Der wachhabende Offizier, ein junger Leutnant, wog den Kasten in seinen Händen. »Das Ding ist schwer wie Blei. Was kann das sein? Wer fährt heute morgen in die Stadt?«
»Ich.« Ein junger Beamter hob die Hand.
»Du nimmst den Kasten mit und lieferst ihn bei der Kripo ab. Prophet, vielleicht hast du Glück, und es gibt keine Meldung.« Der Leutnant stellte den kleinen Kasten auf den Tisch. »Ob das wieder russische Diamanten sind? Dann ist der Weg falsch: So was kommt aus dem Osten nach Westen und nicht umgekehrt. Na, morgen werden wir wissen, was da am Motorblock gehangen hat.«
Am Morgen fuhr der Zollbeamte Richard Hemmer nach Frankfurt/Oder und gab den Kasten bei der Kripo im Polizeipräsidium ab.
»Sagt ihr uns, was wir gefunden haben?« fragte er.
»Na klar. Auch wenn's nur heiße Luft ist …«
»Dafür ist es zu schwer.«
»Lassen wir uns überraschen.«
Und es wurde eine Überraschung.
Nachdem man den Kasten mühsam mit einer Stahlsäge aufgeschnitten hatte, hob einer der Kriminalbeamten eine Bleiröhre heraus, die genau in das Transportgefäß paßte. Das Rohr war an beiden Enden mit einem Bleistopfen verschlossen. Der Kriminaloberrat Jürgen Plötze, Leiter des Kommissariats XII für Wirtschaftsverbrechen, schüttelte den Kopf.
»Die Bleiröhre machen wir nicht auf!« sagte er unsicher. »Das sollen Spezialisten entscheiden. Ab mit dem Ding zum Landeskriminalamt! Das LKA ist dafür zuständig. Ich will mit dem Zeug nichts zu tun haben.«
Und so wurde der Kasten mit dem Bleirohr weitertransportiert zum LKA und landete dort im Labor, das bestens ausgerüstet war. Unter größten Sicherheitsvorkehrungen wurde die Bleiröhre geöffnet.
Es war eine Stunde, die keiner der Laboranten jemals vergessen würde. Und die erste Analyse des Inhaltes wurde sofort an den Chef des LKA durchgegeben.
Von da an liefen die Telefondrähte heiß: nach Bonn zum Verteidigungsministerium, nach Köln zum Bundesamt für Verfassungsschutz, zum Bundeskriminalamt nach Wiesbaden, zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe, zum Bundesnachrichtendienst nach München-Pullach und sogar zum Bundeskanzleramt.
Höchste Alarmstufe.
Gefahrenstufe EINS.
Absolute Geheimhaltung.
Benachrichtigung aller Zollstationen: Ähnliche Behälter wie den an der Grenze nach Polen nicht öffnen! Sofort an die LKAs schicken! Mit Kurier. Strengstes Stillschweigen!
Eine Welle des Entsetzens breitete sich bei den benachrichtigten Behörden aus. Im BND in München-Pullach und beim BKA, dem Bundeskriminalamt, reagierte man schnell: Experten flogen nach Frankfurt/Oder.
Nur keine Panik. Nicht ein Wort an die Öffentlichkeit! Absolute Geheimhaltung!
Es gibt keinen Karel Londricky …
Die Operation war ohne Komplikationen verlaufen.
Die Ärzte hatten aus der rechten Schulter die Gewehrkugel herausgeholt; es war ein glatter Muskelschuß, der Knochen war
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