Tödlicher Staub
die aktuelle Lage, ein paar Gramm Lithium oder Uran, na, was soll's!« Wallner setzte sich wieder gerade hin. »Dabei hat bereits im Januar 1988 der damalige Ministerpräsident von Hessen, Walter Wallmann, die Bundesregierung vor einem Handel mit atombombenfähigem Material gewarnt.« Wallner blickte rauf zu dem BND-Mann, der gerade seinen Schlips lockerte. Es war sehr warm in dem kleinen Zimmer. »Aber das weiß der BND ja am besten.«
»Nur war der Weg umgekehrt.« Der Geheimdienstmann fühlte sich nicht wohl dabei, diese alte Geschichte wieder aufzuwärmen. »Damals wurden deutsche Nuklearbetriebe beschuldigt, technisches Know-how und Nuklearmaterial nach Pakistan geliefert zu haben, um das veraltete Atomzentrum Pinstech bei Karatschi auf den neuesten Stand zu bringen. Über den Umweg Hongkong wurden neunundfünfzig ›Dokumentensendungen‹ verschickt, der vollkommene Bauplan für eine eigene Produktion von Brennelementen, dazu Blaupausen von Reaktortechnik, Urananreicherung und Kernfusion. Achtundsechzig Einzellieferungen für Fertigungsanlagen von Brennelementen wurden auf Umwegen exportiert. Sinteröfen, Elektronenstrahl-Schweißgeräte, Spezialstahl zur Herstellung von Brennelementen, Rohmaterial für den Bau von Uranzentrifugen, Hüllrohre und Spezialbehälter für den Stoff, den man zur Urananreicherung braucht – das Uranhexafluorid. Der dickste Hund aber war die Lieferung des Know-how für eine rein militärischen Zwecken dienende Anlage zur Rückgewinnung und Bereitstellung von reinem Tritium. Tritium ist ein radioaktives Gas, das in kleinsten Mengen als Beimischung zur Sprengkraftverstärkung von Atombomben eingebracht wird. Und – wie üblich – schickte man sogar ein Pröbchen von Tritium mit … Null Komma acht Gramm. Nicht viel? Diese Null Komma acht Gramm Tritium entsprechen einer Strahlung von zweihundertsechsundneunzigtausend Giga-Becquerel!«
»Du lieber Himmel!« sagte der Chef des LKA erschüttert. »Davon hatte ich keine Ahnung.«
»Es gab auch nur einen kurzen Rummel in Bonn, im Bundestag, in den Medien und auf dein diplomatischen Parkett. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verstoßes gegen das Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetz. Höchststrafe: zehn Jahre! Alle, meine Herrn, kennen die Gesetze. Zehn Jahre für die Mithilfe an einer Vernichtungsmaschine, die Millionen Menschenleben kosten kann! So sind wir hier in Deutschland: zehn Jahre – eine Vollmilchschokolade für Völkermord.« Der Geheimdienstler holte tief Luft. »Wir hatten damals beim BND genaue Kenntnis davon, was in Pakistan passierte. Die amerikanische CIA hatte uns Geheimberichte zukommen lassen: Im Atomzentrum Pinstech, umgeben von zwei Meter hohen Mauern und mit Stacheldraht bewehrt, von Militär bewacht und alle Gebäude zur Tarnung grün gestrichen … hier bastelt man nach CIA-Informationen an einer Atombombe. In der Tritiumanlage sollen nach den Non-Papers – so nennt man drüben die Geheimberichte – in einem tiefen Stollen sechzig Gramm reines Tritium lagern. Wir haben alle maßgebenden Stellen gewarnt, es gab viel Aufregung in Bonn, im Bundestag wurden flammende Reden gehalten, man sprach voller Empörung von ›unglaublichen Vorwürfen‹ bis zum ›Sumpf ohne Ende‹, ja man warf im Ausland der BRD vor, sie habe Pakistan zum atomaren Selbstversorger gemacht. Das war 1988. Und seitdem breitet sich wieder Schläfrigkeit in Bonn aus.« Oberrat Wallner blickte auf Londricky, der meisterhaft den Erschöpften zu spielen versuchte.
»Bei uns im BKA wurden später noch zwei Fälle bekannt. Kleine Fische … mal ein halbes Gramm Uran, mal hundert Gramm Cäsium 137. Das Uran war minderwertig, das Cäsium war ein Abfallprodukt aus Kernkraftwerken. Beides also Betrug. Jetzt haben wir 1991 … und es scheint so, als hätten wir hier mit dem Lithium 6 einen neuen Markt aufgetan. Das Lithium ist absolut hochwertig!«
»Aber wer kauft denn so was?« Der Arzt schüttelte den Kopf. »Wer sind die Abnehmer?«
»Das wissen wir nicht.« Wallner wandte sich wieder Londricky zu. »Diese zweihundertsiebzig Gramm Lithium 6 sind meiner Ansicht nach nur eine Probesendung, zum Beweis, daß es rein ist und man mehr liefern kann.«
»Da braut sich was zusammen.« Der Chef des Dezernats XII sprach aus, was alle dachten. »Das kann einen Skandal größten Ausmaßes geben!«
»Die Geheimstufe eins wird das verhindern. Noch. Aber wenn noch mehr radioaktive Ware auftaucht, bekommen die Medien früher oder später
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