Tödlicher Staub
»Ich nix mehr sprechen …«
»Dann ab durch die Mitte!«
Lukas und Pflaume schleppten den kaum noch gehfähigen Polen zu ihrem Mercedes, legten ihn auf den Rücksitz, und während Lukas zu dem kleinen Wagen zurückging, den Schlüssel an sich nahm und ihn abschloß, rief Pflaume die BGS-Wache an.
»Bestellt 'nen Krankenwagen! Wir haben einen Verletzten hier. Sind in zehn Minuten da.«
»O Pfläumchen!« Der Kamerad am Telefon gluckste vor Vergnügen. »Bist du in 'ner russischen Muschi explodiert?«
»Arschloch!« Pflaume ballte die Faust. »Darüber unterhalten wir uns noch! Ein Notarzt mit Einsatzwagen muß her. Es ist dringend! Ende.«
Lukas kam zurück, warf einen Blick auf den stöhnenden Polen und stellte sein Gewehr wieder in die Halterung zurück. »Alles klar?« fragte er.
»Bei mir, ja. Aber bei dir? Wenn das wirklich stimmt, was der Kerl sagt … dann stehst du schön im Regen.«
»Er ist geflüchtet. Hat auf mehrmaligen Zuruf nicht reagiert. Ist einfach geflüchtet. Das ist ein Tatbestand, der sofortiges Eingreifen rechtfertigt. Er könnte ja auch ein schwerer Junge sein, der auf der Fahndungsliste steht. Das muß doch jeder einsehen.«
Lukas beugte sich nach hinten, suchte in den Taschen des Verletzten und fand endlich einen polnischen Paß. Der Pole rührte sich nicht, er stöhnte nur laut auf, als Lukas seine rechte Schulter berührte.
»Wie heißt er?« fragte Pflaume, während Lukas in dem Paß blätterte.
»Angeblich Karel Londricky. Aber das heißt noch lange nicht, daß der Paß echt ist. Auch die eingetragene Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung kann gefälscht sein. Aber damit sollen sich andere herumschlagen. Nicht unser Bier.«
Nach zehn Minuten erreichten sie das BGS-Quartier. Pflaume hatte gewaltig auf das Gaspedal gedrückt. Vier Beamte erwarteten ihn schon und trugen den vor Schmerzen wimmernden Londricky ins Haus.
»Wo ist Ewald?« brüllte Pflaume. »Mit dem habe ich vorhin telefoniert. Ewald, du Drecksau, versteck dich nicht! Komm her!«
Aber Ewald kam nicht heraus. Er war kurz nach dem Telefonat auf Streife gefahren.
Pflaume beruhigte sich wieder, trank ein Bier und war froh, daß diese Nacht für ihn zu Ende war.
So einfach gab sich Lukas jedoch nicht geschlagen. Falls man ihm einen Verweis anhängte, wollte er wenigstens wissen, warum Londricky geflüchtet war und Schutz hinter der polnischen Grenze suchte. Ich hatte Angst, hatte er gesagt, aber das war eine Ausrede. Wovor Angst, wenn man nichts zu verbergen hat? Niemand flüchtet, weil er sich an der Grenze verlaufen hat und in einem fremden Staat steht. Und niemand rast mit einem Auto weiter, wenn er von der Polizei aufgefordert wird, anzuhalten, es sei denn, er hat ein schlechtes Gewissen.
»Irgend etwas stimmt hier nicht!« sagte Lukas zu seinen Kollegen. »Den harmlosen Touristen nehme ich ihm nicht ab.«
»Das ist jetzt Sache der Kripo, Prophet.« Die Grenzpolizisten schüttelten den Kopf. »Es genügt, daß ihr ihn eingefangen habt.«
»Ich habe ihn angeschossen, das kann ein Verfahren geben. Aber ich lasse mich nicht in die Pfanne hauen. Ich will beweisen, daß der Waffeneinsatz notwendig war.«
»Und wenn's nichts zu beweisen gibt? Rühr nicht im Schlamm, Prophet.«
Lukas ließ sich nicht beirren. Noch in der Nacht begann er im Licht zweier Halogenscheinwerfer den japanischen Wagen auseinanderzunehmen. Sitze raus, Reserverad aus dem Kofferraum, sämtliche Räder runter, Armaturenbrett abgeschraubt, Türverkleidungen entfernt … darin hatte er Übung und wußte, wo Schmuggler ihre Waren versteckten. Wie viele Wagen hatte er schon auseinandergenommen, und immer war er fündig geworden. An den unmöglichsten Stellen hatte er Kokain oder Heroin gefunden, einmal sogar Rohdiamanten aus Sibirien in einem unauffälligen Stahlkästchen oberhalb des Auspufftopfes.
Aber dieses Mal fand Lukas nichts. Er saß auf einem Sitz des ausgeschlachteten Wagens und starrte auf die Tür vor sich. Was nun? Ein Verfahren wegen Waffenmißbrauchs war ihm fast sicher. Da hatten die Offiziere in den Kommandostellen kein Verständnis … gerade an der neuen Grenze zu Polen war man allergisch gegen Vorfälle, bei denen Menschen verletzt wurden. Die Medien stürzten sich darauf, und es gab Schlagzeilen wie: »Ist unsere Polizei zu schießwütig?«
Für Lukas gab es nur noch eine Chance: den Ausbau des Motors. Aber dazu mußte der Wagen in eine Werkstatt abgeschleppt werden. Auch einen kleinen Motorblock kann man nicht in der hohlen
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