Tödlicher Staub
er seine Scheinwerfer eingeschaltet, sah, wohin er fuhr, und nutzte den Vorsprung aus. Pflaume gab Vollgas und schaltete in den Allradantrieb um. Für ihn gab es jetzt nur noch freie Fahrt … er raste durch die Büsche, riß sie mit dem Rammschutz um, und die Stollenräder walzten alles nieder.
»Fahren kann der Kerl!« sagte Lukas und kurbelte sein Fenster herunter. Er legte das Gewehr an und schrie noch einmal in den Lautsprecher. »Halten Sie an, oder wir schießen.«
»Der scheißt uns was!« Pflaume stellte die Sirene ab. Vor seinen Scheinwerfern tanzte der kleine Wagen über die Unebenheiten, als spränge ein klobiger Kobold durch die Nacht. »Ich sage dir, das ist ein eiskalter Bursche!«
Lukas schoß. Zuerst auf die Reifen, dann, als der Pole noch immer nicht hielt, auf das Rückfenster. Das war eine schwierige Entscheidung: Traf er den Fahrer tödlich in den Kopf, gab es eine lange Untersuchung des Vorfalls. War der Schuß nötig gewesen? War es Notwehr? Nein? Was sonst? Wie rechtfertigen Sie den Gebrauch der Waffe? Erklären Sie uns die Notlage. Gab es nicht? Wieso haben Sie dann geschossen? In Ihrer Dienstvorschrift steht …
Nach dem vierten Schuß blieb der Pole stehen. Ein Reifen war geplatzt, die Rückscheibe zersplittert. Die Tür sprang auf, und ein Mann schob sich in das grelle Licht der Scheinwerfer. Er hielt sich an der Wagentür fest und krümmte sich.
»Den haste erwischt«, sagte Pflaume und drosselte den Motor. Langsam fuhren sie an den Mann heran. »Hoffentlich haste nicht auch ein Mädchen getroffen.«
Sie bremsten hinter dem japanischen Wagen und sprangen aus ihrem Auto heraus. Lukas drückte sein Gewehr in die Hüfte, bereit, sofort zu schießen, wenn der Mann eine verdächtige Bewegung machen sollte. Fast wünschte er sich das … dann wäre es Notwehr.
Als erster warf Pflaume einen Blick in das Innere des Wagens. Er war leer. Keine Mädchen, kein Gepäck, nur eine polnische Tageszeitung, und der Rücksitz war übersät mit den Splittern des Rückfensters.
»O Mist!« sagte Pflaume laut. Lukas, der abseits stand und nicht wußte, was Pflaume gesehen hatte, sträubten sich die Nackenhaare. Also doch ein Mädchen getroffen. Es ist zum Kotzen!
»Was ist los, Heiner?« rief er heiser vor Aufregung. Der Verwundete an der Tür krampfte die Finger in den Türrahmen. Er hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben.
»Nichts.«
»Was heißt nichts?«
»Nichts heißt: Der Wagen ist leer.«
»Wieso leer?«
»Unser Gangster fährt eine Zeitung spazieren.«
»Das gibt es doch nicht.« Lukas ließ das Gewehr sinken und trat an das Auto heran. Pflaume machte keine Witze, die Rücksitze waren leer. »Das ist ja 'n Ding!«
»Kann man sagen. Das kann sogar ins Auge gehen.«
»Abwarten. Ich wette gegen alles, daß das deutsche Nummernschild gefälscht ist.«
»Kein polnischer Autoschieber klaut einen kleinen japanischen Wagen.«
»Der hier fährt auf eigene Rechnung.« Lukas trat an den sich krümmenden Polen heran. »Sprechen Sie deutsch?«
»Ganz klein …«, keuchte der Verletzte.
»Wer sind Sie?«
»Armer Tourist …«
»Dachte ich mir.« Pflaume klopfte die Taschen und Hosenbeine des Polen ab. »War ja klar. Keine Waffen.«
»Ich machen Fahrt zum Vergnügen.« Der Pole röchelte kurz auf und schwankte. »Weiß nachher Weg nicht … bin in Wald … weiß nicht, daß Grenze hier … plötzlich du da, machst bumbum … ich blute … sieh nach … rechte Schulter …«
»Der verarscht uns!« sagte Lukas ungerührt. »Verwundet ist er, aber die Spazierfahrt glaubt ihm keine Sau.« Und zu dem Polen gewandt: »Du hast eine gefälschte Nummer.«
»Nix falsch. Ich arbeiten in Deutschland. In Köln. Bei Ford.«
»Das stimmt.« Pflaume nickte. »Es ist eine Kölner Nummer. Aber das haben wir schnell überprüft.«
»Aus Köln also?« Lukas ließ nicht locker. »Und was machen Sie dann an der deutsch-polnischen Grenze?«
»Urlaub. Mama wohnt in Dorf. Dort hinten.«
»Und da willst du dich verfahren haben? Wenn du hier aufgewachsen bist, kennst du jeden Kuhschiß!« Pflaume schob seine Hand unter das Kinn des Polen und hob sein Gesicht hoch. »Und warum flüchtest du dann?«
»Angst …«
»Wer keinen Dreck am Stecken hat, braucht keine Angst zu haben.«
»Ich muß Arzt haben …«
»Bekommst du. Warum wolltest du abhauen?«
»Ich nix mehr reden bis Arzt.« Der Pole sank an der Tür zusammen und lehnte den Kopf an den Türrahmen. »Bitte … Arzt …« Und dann, wie ein Aufbäumen:
Weitere Kostenlose Bücher