Tödlicher Staub
sich zwischen ihn und die Bühne eine Gestalt schob.
Sybin lächelte ihn an. Auf englisch sagte er zu Sendlinger:
»Sie haben Glück bei Natalja, ein unverschämtes Glück. So deutlich hat sie ihre Sympathie noch keinem anderen Mann gezeigt.«
»Ein Spiel. Es gehört zu ihrer Nummer.« Auch Sendlinger sprach jetzt englisch.
»Ist Natalja nicht wunderschön?«
»Es gibt viele schöne Frauen auf der Welt.«
»Aber keine ist wie Natalja Petrowna.«
Dr. Sendlinger zeigte auf den freien Stuhl an seinem Tisch. »Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
»Wenn Sie erlauben.« Sybin setzte sich und rückte etwas zur Seite, um nicht zwischen Natalja und Sendlinger zu sitzen. »Ich bin Igor Germanowitsch Sybin«, sagte er unbefangen.
»Dr. Sendlinger.«
»Aus Berlin. Rechtsanwalt …« Sybin grinste Sendlinger an.
»Woher kennen Sie mich?« Sendlinger war nun doch verblüfft, und gleichzeitig schrillte in seinem Kopf eine Alarmklingel. Achtung! Da stimmt etwas nicht. Ich bin zum ersten Mal in Moskau, und ich habe in Berlin, außer mit General Petschin, nie zu Russen Verbindung gehabt. Wie und woher kann mich dieser Sybin kennen?
»Ich habe mich nach Ihnen bei Semjon, dem Geschäftsführer, erkundigt.«
»Und warum?«
»Sie fielen mir auf.«
»Ich nehme doch an, daß viele Besucher aus dem Westen Gäste im Kasan sind. Warum gerade ich?«
»Eine Art Intuition.« Sybin wartete, bis der Kellner seinen Wein an Sendlingers Tisch gebracht hatte. »Ein – wie soll ich sagen – Gefühl. Ich verlasse mich oft auf Gefühle. Ich spüre sie auf meiner Haut wie einen unsichtbaren elektrischen Strahl. Haben Sie so etwas noch nicht erlebt?«
»Es ist gefährlich, sich Gefühlen hinzugeben. Ein klarer Kopf ist wichtiger.«
Ihre Unterhaltung wurde unterbrochen. Natalja tanzte wieder vor Sendlinger und warf ihm den Rock zu, den sie eben ausgezogen hatte. Sie trug jetzt nur noch einen knappen, goldfarbenen Slip … Strümpfe und Stiefel hatte sie bereits seitlich in die Kulisse geworfen. Dr. Sendlinger legte den Rock achtlos zu den anderen Kleidungsstücken.
»Ich komme mir vor wie ein Garderobenständer. Folgt noch mehr?«
Sybin lachte schallend und klopfte auf Sendlingers Arm. Dabei bemerkte Sendlinger, daß seinem Gast an der linken Hand ein Finger fehlte. Aber er sah auch die dicken Brillantringe, Zwei- und Dreikaräter, bestimmt lupenrein. Protz! dachte Sendlinger. Einer der neureichen Russen. Und plötzlich ahnte er, daß dieser Sybin zu der Sorte Russen gehörte, die durch Glasnost und Perestroika ihre bisher dunklen Geschäfte ins Licht rücken konnten. Die Ratten wurden fett.
»Sie hat noch ihr Höschen an!« sagte Sybin fröhlich. »Wenn Natalja es Ihnen ins Gesicht wirft, sollten Sie sie zu einem Glas Champagner einladen.«
»Wir werden sehen. Was kommt dabei heraus? Ich investiere nie in unsichere Geschäfte. Investition heißt Gewinn.«
»Sie gefallen mir, Gospodin Sendlinger.« Sybin nickte Natalja kurz zu. Es sollte diskret geschehen, aber Sendlinger, wach wie immer, erkannte den Wink. Er spürte in sich eine Spannung, die den ganzen Körper ergriff.
Was soll das, fragte er sich. Wohin treibt dieses Spiel? Wer ist dieser Sybin? Ganz klar: Er benutzt Natalja als Lockvogel … aber wohin soll ich gelockt werden? Was hat man mit mir vor? Mich auf diesen herrlichen Körper legen und dann ausrauben? Lohnt sich nicht, meine Lieben. Ich habe nur fünfhundert Dollar bei mir. Für einen Beischlafdiebstahl, wie es im Juristendeutsch so schön heißt, lohnt es sich nicht. Und außerdem bin ich ein guter Boxer. Meister im Mittelgewicht der Studentenstaffel. Das ist zwar eine Zeit lang her, aber einen guten Punch habe ich noch immer.
»Was machen Sie in Moskau?« fragte Sybin frei heraus.
»Geschäfte.«
»Dachte ich mir. Wie ein harmloser Tourist sehen Sie nicht aus. Das habe ich sofort gefühlt.«
»Ihr berühmtes Gefühl! Wieso bin ich denn Ihrer Meinung nach nicht harmlos?«
»Sie kommen aus dem Westen, um in Rußland Geschäfte zu machen. Das heißt: Sie wollen Rußland ausbeuten.«
»Oh! Das klingt aber sehr marxistisch und kämpferisch.«
»Es klingt ehrlich. Ich kenne genug westliche Kapitalisten, die nach Rußlands Erneuerung bei uns nach Gold graben wollen.«
»Interessant! Und womit verdienen Sie Ihre Brillantringe?«
»Mit Geschäften … wie Sie.« Sybin grinste freundlich. Die Provokation in Sendlingers Frage überhörte er großzügig.
»Das glaube ich nicht. Sagen Sie mir, wen oder was Sie
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