Tödlicher Staub
einen guten Geschmack.«
Bis auf die brillantberingten Finger, dachte Sendlinger. Er kommt mir vor wie eine übriggebliebene Kopie der dreißiger Jahre von Chicago. Aber man sollte sich nicht täuschen, die neuen russischen Gangster haben noch weniger Gewissen oder Skrupel als ihre amerikanischen oder italienischen Vorgänger. Man hat schon viel von ihnen gehört, ohne an sie heranzukommen. Sie übernehmen langsam und im geheimen die Herrschaft über das Land, ohne daß man sie orten kann. Und ich bin gerade einen Tag in Moskau, und einer dieser Kerle umarmt mich und will mir seine Freundin auf die Matratze legen. Bin ich ein Glückspilz oder ein Idiot?
Er wandte sich Sybin zu und sprach nun wieder englisch.
»Ich suche in Rußland Partner«, sagte er ohne Umschweife oder verdeckte Andeutungen. »Kontakte zu – sagen wir es so – außergewöhnlichen Produktionen. Für einen kleinen, aber lukrativen Markt. Es gibt da bereits verschiedene Verbindungen, aber sie genügen nicht und sind sehr unsicher. Vor allem ist der Markt sehr publikumsempfindlich. Sie verstehen, Mr. Sybin?«
»Ich verstehe nur, daß es Geschäfte unter der Theke sind …«
»Es sollte nicht mal eine Theke geben …«
»Also ein absolutes Tunnelgeschäft.«
»Ihre Auffassungsgabe ist lobenswert, Mr. Sybin.«
»Sie sagten, es sei ein Handel. Das ist ein weiter Begriff – handeln kann man mit Sonnenblumenkernen, Öl, Kaviar oder Waffen.«
»Ich möchte sagen: Sie nähern sich dem Feuer.«
»Also Waffen!«
»Nicht direkt … im übertragenen Sinne schon.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Sybin ehrlich. Ihm kam im Augenblick Sendlingers Erklärung noch reichlich verworren vor.
Soll ich aufs Ganze gehen? dachte Sendlinger. Soll ich es wagen? Zum KGB wird er nicht laufen, das ist gewiß. Man liefert seinem Feind keine Munition. Ein gewagtes Spiel bleibt es aber trotzdem. Doch ohne Wagnis ist unser Geschäft tot, da braucht man erst gar nicht anzufangen.
Sendlinger wagte es. Er hatte in seinem Leben sooft va banque gespielt und immer gewonnen, als klebe das Spielerglück an seinen Händen.
»Eine Probesendung von zweihundertsiebzig Gramm Lithium 6 ist unterwegs.«
Er sagte es, als handele es sich um Bananen. Sybin starrte ihn entgeistert an und pfiff dann durch die Zähne.
»Ei … ei … Lithium 6! Höre ich richtig?«
»Sie hören richtig.«
»Und Probesendung? Da kommt noch mehr?«
»So ist es.«
»Für wen?«
»Frage ich Sie, woher Sie Ihren Reichtum haben? Auf legale Art können Sie in Rußland in so kurzer Zeit nicht Millionär werden. Sie sagten vorhin, Sie lebten von Geschäften vielerlei Art. Mr. Sybin, frei heraus: Haben Sie Verbindungen zur Atomindustrie oder zu Nuklearforschungsinstitutionen?«
»Wir haben überallhin Verbindungen.« Sybin hörte ebenfalls auf, hinter einer Maske zu agieren. Allein das Wort ›überallhin‹ stieß die Tür einen Spalt weit auf. »Was brauchen Sie, Dr. Sendlinger?«
»Uran 235, hochangereichert, und vor allem Plutonium 239.«
»Wieviel?«
»Soviel man liefern kann.«
»Das klingt verlockend.« Sybin trank sein Champagnerglas aus, als habe er plötzlich ein Brennen im Hals. »Sind Sie finanzkräftig genug?«
»Ja!«
»Es kann um Hunderte von Millionen Dollar gehen, das muß Ihnen klar sein.«
»Kein Problem.«
»Und wann?«
»Wann immer man liefern kann.«
»Und da hüpft der Hase aus der Pfanne.« Sybin warf einen bösen Blick auf Natalja. Sie hatte begonnen, über Sendlingers Hand zu streicheln. »Laß uns in Ruhe!« sagte er grob. »Such dir einen anderen, der dir die Dollars zuschiebt.«
»Du Arsch!« Nataljas Augen blitzten gefährlich auf. »Du hast mir befohlen …«
»Das ist vorbei. Das hat sich geändert. Wir brauchen dich nicht mehr. Trink deinen Champagner – und dann weg hier!«
»Der deutsche Doktor gefällt mir …«
»Du kannst ihn später haben, nicht heute.«
»Ein Miststück bist du!«
»Hau ab!«
»Was sagt sie?« fragte Sendlinger und registrierte Nataljas wütende Blicke.
»Sie gefallen ihr. Wollen Sie sie haben?«
»Jetzt? Nicht unbedingt. Ich bleibe acht Tage in Moskau; da bleibt noch genügend Zeit für solche Aktivitäten.«
»Ich habe Sie – wieder mein Gefühl! – doch richtig eingeschätzt: Frauen lassen Sie kalt.«
»Falsch! Nur wenn sie beim Geschäft stören. Außerhalb der Arbeit habe ich ein großes Faible für Frauen wie Natalja.«
Sybin nickte verständnisvoll. Er wartete, bis Natalja ihr Glas leergetrunken hatte, und sagte dann
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