Tödlicher Staub
Rußlands unter kommunistischer Führung war eine Idee voller Phantasie gewesen, die einen langen Reifeprozeß benötigte, ohne Garantie auf Erfolg. Es war der gleiche Gedanke, den auch Deng Xiaoping träumte, als er die Öffnung Chinas nach Westen durchsetzte. Die ersten Auswirkungen zeigten sich bereits: Zerstörung der Landschaft, Korruption und Bestechung, ein rasantes Anwachsen der Kriminalität, der Verfall der alten Sitten und eine geradezu paranoide Jagd nach Geld. Das ›erwachende‹ Volk entglitt auch hier der ordnenden Hand.
Was würde Jelzin tun? War er der Stier, der die Kampfarena beherrschte? Sybin prophezeite den Verfall – Sendlinger glaubte eher an eine radikale Straffung der Politik. Er war eben kein Russe …
»Liefern?« Sybins Stimme wurde geschäftlich. »Ist Rom an einem Tag erbaut worden? Um mit Plutonium zu handeln, das heißt, um die Lieferanten zu motivieren, muß noch mehr passieren. Wir stehen bereit, aber Ungeduld ist die Mutter des Mißerfolges.«
»Mit russischen Weisheiten kann ich meine Auftraggeber nicht füttern. Sie werden ungeduldig.«
»Aber sie sind von uns abhängig. Nirgendwoher bekommen sie ihr Plutonium oder Uran frei Haus geliefert, ohne internationale Gegenmaßnahmen auszulösen. Das wissen sie genau! Hier lohnt sich das Warten.«
Und die Zeit verstrich. Sybin meldete sich einmal vierteljährlich, berichtete von Natalja, die das Tanzen aufgegeben hatte und im ›Konzern‹ arbeitete, als Kontakterin, wie es Sybin vornehm, aber mit einem Glucksen in der Stimme bezeichnete, und sie war – wie nicht anders erwartet – erfolgreich. Ihr Aufstieg in die neue Moskauer Gesellschaft war eine Sensation. Einflußreiche Männer aus Jelzins Umfeld flüsterten von ihren Leistungen im Bett, von der Fähigkeit, einen Mann auszupumpen und ihm das Gefühl des Siegers zu vermitteln. Daß sie nichts, aber auch gar nichts dabei empfand, blieb allen ihren Liebhabern verborgen. Sie schwärmten nur von ihrem zauberhaften Körper und dessen rhythmischen Bewegungen: einmal Natalja Petrowna, und du weißt, was es heißt, zu den Sternen zu schweben.
Sybin erhielt durch Nataljas Arbeit wichtige Erkenntnisse und Verbindungen. Es ist eine Eigenheit der Männer, in den Armen einer schönen Frau nicht nur von der Liebe, sondern auch über ihr Privatleben und vor allem ihren Beruf zu reden. Informationen, die unter unter dem Vermerk ›streng geheim‹ in Panzerschränken verschlossen wurden, wurden bei Natalja hemmungslos preisgegeben. So wußte Sybin genau, oft besser als die russische Atomkontrollbehörde, was in den Nuklearkombinaten geschah. Und da Natalja viel im Land herumreiste, genossen auch Direktoren und Wissenschaftler ihre Liebeskünste und plauderten ihre Probleme in Nataljas Armen aus.
Sybin baute mittels Nataljas Liebeskünsten eine gefährliche Machtstruktur auf.
In Berlin wartete man geduldig.
Die Kanzlei Dr. Sendlingers blühte wie nie zuvor. Betrogene ehemalige DDR-Bürger, die um ihren Besitz kämpften, da sie Immobilienhaien ihre Häuser oder Grundstücke zu lächerlichen Preisen verkauft hatten und später erkannten, daß Millionen zu verdienen gewesen wären; Verhandlungen mit der Treuhand zum Kauf von früheren Staatsbetrieben; aber auch Zivilklagen von Betroffenen, die sich in den Gauck-Akten wiederfanden, wo alle Personendossiers der Stasi gesammelt waren, ließen die Kanzlei Sendlinger zu einer der größten Rechtsanwaltspraxen werden.
Sendlinger hatte es eigentlich nicht nötig, sich schmutzigen Geschäften zuzuwenden, aber sein Traum von den Millionen war geblieben. Ein Palast auf Barbados oder Grenada, ein riesiger tropischer Garten, eine Hochseejacht, ein eigenes kleines Paradies … und die Eva in diesem Garten Eden, aus dem ihn keiner vertreiben würde können, sollte eine schöne Frau sein.
Natalja Petrowna?
Kann man sich wirklich in eine Hure verlieben?
Er konnte das nicht analysieren, aber immer, wenn Sybin von Nataljas sexuellen Turnübungen berichtete, spürte er einen Stich im Herzen und wurde wortkarg. Irgendwie griff das nach seiner Seele, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte.
Auch der Aufstieg von Ludwig Waldhaas war eng verknüpft mit der Wiedervereinigung Deutschlands. Seine Baustoffhandlung expandierte zu einem Großunternehmen.
Wenn er sagte ›mein Betrieb‹, so stimmte das jetzt. Er hatte Mitte 1991 die Baustoffhandlung gekauft, mit dem Geld, das er durch den Schwarzhandel an der Firma vorbei verdient hatte. Viele ehemalige Kollegen
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