Tödlicher Staub
in Wirklichkeit wie ein Sieb. Er wird tief beleidigt dementieren. Und außerdem können wir nicht beweisen, daß Atommaterial aus Rußland zu uns gelangt. Wir vermuten es lediglich, weil Rußland als einzige Quelle in Frage kommt. Auf Vermutungen scheißt der Teufel!« Wallner nickte allen zu. »Ich danke Ihnen, meine Herren.«
Die gereizte Stimmung blieb. Es ist schwierig, eine Niederlage zu verkraften.
Spät in der Nacht – es war genau drei Uhr siebzehn, wie Dr. Sendlinger nach einem Blick auf den Wecker feststellte – klingelte bei ihm das Telefon. Er setzte sich im Bett auf, griff nach dem Hörer und sagte unwirsch:
»Wer Sie auch sind … um diese Zeit ist keine Sprechstunde.«
»Steig von deinem Weib herunter, Paul«, antwortete eine Stimme auf englisch, die er nur zu gut kannte. Dennoch hatte sie einen härteren Klang, als er es in Erinnerung hatte. »Ich soll dich von Onkel Alexander Nikolajewitsch grüßen …«
Damit war General Petschin gemeint. Sendlinger wurde hellwach.
»Danke. Wie geht es ihm?« Er preßte die Lippen zusammen. Hatte das Syndikat bereits zugeschlagen?
»Er ist in bedrückter Stimmung.« Sendlinger atmete auf. Petschin lebte also noch. Sybin räusperte sich. »Er macht sich Sorgen.«
»Weswegen?«
»Deinetwegen. Du … du hattest einen Unfall?«
Die Macht der Mafia … sie wußten alles. Sendlinger preßte seinen Rücken gegen den Kopfteil des Bettes.
»Ja«, sagte er kurz.
»Wie konnte das passieren?«
»Menschliche Schwäche.«
Wie Sybin sprach er in unverfänglichen Redewendungen – wußte man denn, ob in Moskau nicht der KGB mithörte?
»Du hast Glück gehabt.«
»Wie man's nimmt. Mein Beifahrer hat dabei sein Leben verloren.«
»Bedauerlich, daß er nicht angeschnallt war.«
Auch das weiß er also! Igor Germanowitsch, du wirst mir unheimlich. Wo überall hast du deine Informanten sitzen? Auch im BKA oder gar im BND?
»Onkel Igor sagt, du hättest dich verfahren.«
»Mein Beifahrer wollte unbedingt nach Hause. Auf einem falschen Weg ist es dann passiert.«
»Onkel Igor macht sich Sorgen.«
»Unnötig. Der Wagen läuft weiter. War ja nur eine kleine Panne.«
»Solche Pannen sind oft lebensgefährlich. Onkelchen hat einen kleinen Schock bekommen. Er will nicht mehr mit dir mitfahren.«
Das war es. General Petschin stieg aus, er hatte Angst. Der erste Versuch mit der Atomschieberei war gescheitert. Nun ging er in Deckung. Für immer?
»Das ist sein Entschluß. Ich fahre weiter.«
»Der Unfall hat ihm schwer zugesetzt.« Sybin räusperte sich wieder. »Er sieht krank aus, der gute Alexander Nikolajewitsch. Sein Herz hält keine Belastung mehr aus. Wir glauben, daß er es nicht mehr lange macht. Die ganze Familie kümmert sich um ihn. Sein Herz kann jeden Tag stehenbleiben … ein großer Verlust für die Armee.«
Das Todesurteil!
Dr. Sendlinger spürte ein Kribbeln von der Kopfhaut bis zu den Zehen. Das ist die Maxime der Mafia: Wer unnütz geworden ist, muß weg. Gnadenlos. Auch ihn konnte es treffen, wenn es Sybin für nötig hielt. Einen Pakt mit dem Teufel unterschreibt man immer mit dem eigenen Blut. Er kam sich vor wie Faust, der Mephisto seine Seele verkauft hat. Nur war es bei Faust die Sehnsucht nach ewiger Jugend; bei ihm war es die Sehnsucht nach Hunderten von Millionen Dollar.
»Wir wollen hoffen, daß alles gutgeht!« erwiderte Sendlinger. Es war, als preßte er die Worte durch seine Kehle. »Vielleicht erholt sich Onkel Alexander wieder.«
»Die Familie glaubt es nicht. Er ist schon zu schwach …«
»Wie laufen die Geschäfte?« Sendlinger wollte das Thema beenden.
»Ich bin zufrieden. Die Exportfirmen zeigen großes Interesse. Aber – du weißt es ja – alles braucht seine Zeit.«
»Wie geht es Natalja?«
»Das Vögelchen spricht von dir, als sei es gerade erleuchtet worden.« Jetzt lachte Sybin. Sendlinger sah sein Gesicht vor sich: die glänzenden Haare, das schmale Oberlippenbärtchen, die unruhigen Augen; dazu die beringten Finger, der Maßanzug, das Seidenhemd, die Lackschuhe … ein Parvenü, dem niemand den lebenden Tod ansah.
»Grüß Natalja von mir.«
»Vielleicht kommt sie nach Berlin.«
»Wann?« Sendlinger zuckte unwillkürlich zusammen. Halt sie mir vom Hals, Sybin. Wenn du der Tod bist, ist sie dein Todesengel.
»Wenn es an der Zeit ist, mein Bruder.« Sybin erweckte mit dem nächsten Satz Sendlingers Neugier. »Sobald der Export anläuft, wird Natalja eine Europareise antreten. Selbstverständlich kommt sie dann
Weitere Kostenlose Bücher