Tödlicher Staub
die Russen in Domänen ein, die bisher von Italienern und Chinesen besetzt waren. Ein Verdrängungswettbewerb brutalster Art mit Folter, Verstümmelungen und Mord.«
»Das bin wiederum ich.« Sybin sah keinen Grund, seinen Freund Paul anzulügen. Er war stolz auf seine ›Kompanie I‹, die er so nannte, weil sie paramilitärisch organisiert war. Außerdem kann Kompanie auch Handelsgesellschaft heißen oder Genossenschaft – wie man es auch liest, es ist immer richtig. »Das ist unser tägliches Brot, das hält – wie mein Großvater es ausdrückte – unsere Ärsche am Kacken.« Er lachte kurz auf und wurde im nächsten Augenblick wieder ernst. »Es geht los!«
Dr. Sendlinger schob die Unterlippe vor und nahm seine Brille ab. Seit einem Jahr brauchte er eine Brille. »Was kannst du liefern?« fragte er, ohne seiner Erleichterung Ausdruck zu verleihen.
»Das ist es, was mich aufregt.« Sybins Stimme zitterte. »Es sind zwanzig Gramm waffenfähiges Plutonium 239 unterwegs … aber nicht von mir!«
Sendlinger zuckte nun doch hoch. »Igor! Das ist eine Katastrophe!«
»Noch nicht. Es ist der Versuch eines Außenseiters, der viel Geld verdienen will und glaubt, privat ein Geschäft aufziehen zu können. Eine Art Glücksritter.«
»Tatsache ist, daß uns jemand zuvorgekommen ist, da hilft kein Herumreden.«
»Zwanzig Gramm …«
»Wer zwanzig Gramm Plutonium liefern kann, hat noch mehr im Keller.«
»Irrtum. Es handelt sich um einen entlassenen Abteilungsleiter des Kombinates Tomsk-7, der Zugang zu den Abfallprodukten der Brennstäbe hat. Und Plutonium ist ein Abfallprodukt von uranhaltigen Brennelementen nach deren Abbrennen …«
»Ich weiß, was Plutonium ist«, unterbrach Sendlinger die Erklärungen Sybins mit einer Barschheit, die beleidigend war.
»Der Abteilungsleiter heißt Kyrill Simferowitsch Poltschow.«
»Das wißt ihr?«
»Vergiß nicht: Unsere Ohren hören überall alles. Poltschow kann uns nicht stören … er wird morgen begraben.«
»Aha!« sagte Sendlinger nur.
»Aber: die Zwanziggrammprobe ist unterwegs.«
»Da haben wir den Mist.«
»Kein Mist. Der Kurier ist ein Deutscher. Der Lkw-Fahrer Freddy Brockler aus Köln.«
»Woher wißt ihr das nun wieder?«
»Bevor Poltschow diese Welt verließ, hatte er das Bedürfnis, sein Herz auszuschütten. Ein gesprächiger Mann. Wir haben von ihm siebenundsechzig Adressen erhalten, die an einem Atomgeschäft interessiert sind. Siebenundsechzig, Paul! Es sind einige darunter, die Nataljas Reitkünste bewundern. Unsere Lieferanten stehen bereit.«
»Und was ist mit diesem Freddy Brockler?« Die Erwähnung von Nataljas Arbeitseinsatz berührte Sendlinger unangenehm.
»Wir jagen ihn. Er muß noch in Rußland sein, bestimmt aber in Polen. Er fährt einen MAN-Laster, einen Zehntonner. Wir bekommen ihn!«
»Und wenn nicht?«
»Dann ist das eure Sache.«
»Danke für den schönen Auftrag«, erwiderte Sendlinger voll Sarkasmus. »Ich habe kein Grenzschutzbataillon zur Verfügung.«
»Ich garantiere dir, Paul … er wird nicht mehr als hundert Meter über die deutsche Grenze kommen. Ein kleiner Wink fliegt ihm voraus.«
»Was soll das heißen?«
»Ein guter Kamerad im ukrainischen Sicherheitsdienst, genannt SBU, einem Nachfolger des umgestalteten KGB, hat einen Ruf zu eurem BND losgelassen.«
»Du bist verrückt!« schrie Sendlinger entsetzt. »Du setzt den Spürhund auf unsere Fährte?!«
»Nicht auf unsere, auf Poltschows Spur. Aber Poltschow gibt es nicht mehr. Er ist offiziell verschollen. Ein GUS-Flüchtling, wie man in Tomsk annimmt.«
»Und wenn Brockler redet?«
»Was weiß er denn? Er hat ein Paket mitgenommen und dafür zweitausend Mark bekommen, das ist alles.«
»Drehe es, wie du willst: Er verunsichert den Markt.« Sendlinger war nun ernsthaft wütend. Hatte er sich in Sybin getäuscht? Erst der feige Petschin und jetzt noch ein Großmaul? War Sybin nur eine schillernde Seifenblase? Ein Schwätzer mit enormer Überzeugungskraft? Morden konnte er … aber taugte er für dieses diffizile Atomgeschäft? Fast zwei Jahre waren vergangen, ohne einen Erfolg zu bringen. Was heißt hier siebenundsechzig Adressen? Eine genügt, wenn sie gutes Plutonium 239 liefert.
Sybin schien zu spüren, was Sendlinger in diesem Moment dachte. Man hörte durch das Telefon, wie er mit den Fingern auf die Tischplatte hämmerte. Neun Finger voller Brillanten und Edelsteinen.
»Beobachte, was sich tut«, sagte er tröstend. »Glaube mir, die Polizei wird
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