Tödlicher Staub
von der Stasi, die heute in wichtigen Positionen saßen, halfen sich untereinander und hievten ihre Freunde in ein angenehmes, bürgerliches Leben. Auch Waldhaas gehörte einer solchen ›Seilschaft‹ an. Sie war vor allem auf dem Bausektor von Berlin zu Hause, und wenn Häuserblocks und ganze Straßenzüge abgerissen wurden, um supermodernen Prachtbauten, Großraumbüros, Läden, Hotels und Supermärkten Platz zu machen – Architektenträume, die nun Wirklichkeit wurden, denn Geld spielte hier kaum noch eine Rolle –, dann stand die Firma ›Baumarkt 2000‹ des ehemaligen Stasi-Majors Waldhaas oben auf der Lieferantenliste.
Ab und zu ging Waldhaas am Abend spazieren, nachdem er im ehemaligen Grandhotel, das jetzt Grandhotel Maritim hieß, gegessen hatte. Er schlenderte die Friedrichstraße hinunter, die eine einzige Baustelle war und das neue Berlin repräsentieren sollte: Profanbauten wie Paläste. Beton, Glas, Marmor, modernste Technik, kühne Architektenphantasien und sichtbar gewordener Größenwahn. Berlin bekam ein neues Gesicht. Die Stadt der Superlative sollte zeigen: Deutschland ist wieder etwas! Der total besiegte Staat steht wieder an der Spitze. Und wenn Waldhaas so durch die Straßen lief und an den Fassaden der halbfertigen Prachtbauten emporblickte, konnte er mit Stolz sagen: Auch hier wird unser Material verarbeitet.
Waldhaas' Umwandlung war vollkommen gelungen. Wer dachte noch an den Agentenführer und Stasi-Major Waldhaas? Seine Personalakte gehörte zu den Dokumenten, die verschollen oder von Kameraden verbrannt worden waren. Der Baustoffgroßhändler von ›Baumarkt 2000‹ war ein geachteter Mann.
Zum dicken Adolf, das Restaurant in Moabit, hatte Adolf Hässler noch einmal renoviert. Aus der Kneipe und dem Bistro war ein In-Lokal geworden. Hier trafen sich Industrielle und Wirtschaftler, Anwälte und Ärzte, und ab und zu fand auch ein Stammtisch ehemaliger Stasi-Offiziere statt, aber das merkte keiner. Beim Dicken Adolf wurden Millionengeschäfte abgewickelt, man erkannte das daran, daß zur Feier eines Vertragsabschlusses Champagner bestellt wurde.
Hässler machte dem Namen seines Lokals nun alle Ehre: Er war dick geworden, dick und bequem. Was ihn jetzt belastete, war seine Freundschaft mit Dr. Sendlinger und Waldhaas. Mit Atommaterial wollte er nichts mehr zu tun haben; ihm genügte es, daß das Lokal Zum dicken Adolf eine Topadresse geworden war. Er setzte auf Sicherheit, Atomschmuggel aber bedeutete Gefahr. Anders als Dr. Sendlinger, träumte er nicht von einer Insel in der Karibik. Er wollte nur noch seine Ruhe haben. Ruhe und Liebe. Für das letzte war Sybille zuständig. Eine junge, schicke Kellnerin in seinem Lokal. Wie er in Moabit geboren, aus ärmsten Verhältnissen stammend, dankbar für jeden zärtlichen Klaps auf den Hintern. Mit ihr wollte er sein Alter genießen. Seine Frau hatte er mit hundertfünfzigtausend Mark abgefunden … sie war nach Mallorca verschwunden und ließ nichts mehr von sich hören. Dies erzählte Hässler, wenn man ihn nach ihr fragte, und man glaubte ihm das auch. Sybille war ein Kumpel. Sie hielt eisern zu ihm.
Ein Glück, daß der Mensch nicht in seine Zukunft sehen kann …
Es war still an der Atomfront geworden, aber es war eine trügerische und erzwungene Stille. Verordnet von BKA und BND mit ausdrücklicher Billigung der Bonner Ministerien und des Bundeskanzleramtes. Es war erstaunlich, wie präzise diese Geheimhaltung funktionierte, nicht einmal bestinformierte Presseorgane wie Der Spiegel, Focus oder BILD konnten das Schweigen durchdringen. Die Pressestellen in den Präsidialbüros der Landeskriminalämter, des BKA und der Bundesregierung blockten alle Anfragen ab. Ab und zu sickerten Hinweise von Informanten durch, aber es waren unbewiesene Meldungen, vor allem waren sie nicht sensationell.
Ende April 1993 erhielt Dr. Sendlinger erneut einen Anruf aus Moskau. Sybin ließ grüßen.
»Dich gibt es wirklich noch?« sagte Sendlinger verärgert. »Man hört bei uns soviel über die russische Mafia, nur von dir nichts. Mittlerweile sind fast achtzig Prozent unserer Puffs mit Mädchen aus dem Osten belegt. Ein noch nie erlebter Menschenhandel.«
»Ich beschäftige mich nicht mit Puffs!« antwortete Sybin. Es klang, als sei er beleidigt. »Das ist eine andere Abteilung unseres Konzerns.«
»Hier findet bereits ein Krieg zwischen den Russen und den chinesischen Triaden statt wegen Rauschgiftschmuggels und Schutzgelderpressung. Überall dringen
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