Tödlicher Staub
ich … sprich anständig mit ihm.«
»Ich werde ihn mit Versen von Puschkin unterhalten. Aber seine Tochter stört mich.«
»Du wirst sie ertragen können. Bemühe dich, ihre Freundin zu werden. Töchter haben oft einen großen Einfluß auf ihre Väter. Was machst du nach dem Essen? Heute abend, meine ich.«
»Weiß ich es jetzt schon? Ich lasse mich überraschen.«
Es war, als habe Natalja einen Blick in die nahe Zukunft getan. Im Speisesaal sah sie sich um und ging an einen kleinen Tisch, der an der Wand stand. Die Wand war mit einem gelben Seidenstoff bespannt, gemustert mit roten Vögeln. Es sah sehr chinesisch aus.
Drei Tische vor ihr saß ein Mann, der gerade seine Suppe gegessen hatte. Er putzte sich den Mund mit seiner Serviette ab und lächelte Natalja an. So beginnt ein Flirt. Der Mann war stämmig, hatte eisgraue Haare, trug einen diskreten mittelblauen Anzug und einen blau-rot-gestreiften Schlips. Seine kräftige Hand umspannte das Weinglas, hob es hoch in der deutlichen Absicht, Natalja zuzuprosten.
Natalja wandte den Kopf ab und blickte abweisend in eine andere Richtung. Du alter Hirsch, dachte sie. Willst du abgeschossen werden? Du hast ein gerötetes Gesicht, durch deine Wangen schimmern rote Äderchen – du bist schlaganfallgefährdet. Wie willst du eine Natalja aushalten?
Der Mann ließ sein Weinglas sinken, winkte dem Kellner, bezahlte und verließ das Lokal. Gut so, dachte sie, er gibt auf. Ein vernünftiger Mann.
Draußen in der Hotelhalle ließ er sich seinen Mantel bringen, und Stephan persönlich half ihm in die Ärmel.
»Sie ist da, Herr Oberst«, flüsterte er. »Vor zehn Minuten hat sie den Speisesaal betreten.«
Micharin knöpfte seinen Mantel zu. »Natürlich habe ich sie gesehen, Sie Schwachkopf. Morgen wieder Rosen auf Zimmer vierundvierzig.«
»Ich darf nicht, Herr Oberst.«
»Wer verbietet es?«
»Sie selbst. Sie war empört über die gelben Rosen.«
»Dann schick morgen rote Rosen!«
»Sie wird den Strauß aus dem Fenster werfen.«
»Soll sie! Aber sie hat ihn bekommen … darauf kommt es an.«
»Wie Sie wünschen, Genosse Oberst.«
»Es gibt keine Genossen mehr, Stephan. Wir sind jetzt Staatsbürger.«
Mit festem Schritt verließ Micharin das Hotel. Stephan blickte ihm nach, bis er hinter der Glastür verschwunden war.
»Idiot!« sagte er halblaut. »Auch du wirst eines Tages daran glauben und im Dunkeln verschwinden. Dann trinke ich zweihundert Gramm Wodka ganz allein!«
Es ist erstaunlich, daß Portiers oft mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet sind.
Am nächsten Abend klingelte Natalja wieder an Kunzews Tür. Er schien schon darauf gewartet zu haben … die Tür wurde sofort geöffnet.
»Welche Freude, Sie zu sehen!« rief Kunzew. »Herein, Natalja Petrowna, herein! Riechen Sie, was meine Tochter Nina im Backofen hat? Täubchen! Schöne, große Täubchen. Und dazu einen fetten Rotkohl und Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Pilzen. Eine Spezialität von ihr.«
Natalja betrat das Wohnzimmer und stand der Ärztin Nina Iwanowna gegenüber. Sie hatte eine bunte Schürze umgebunden, das Haar streng nach hinten zusammengefaßt, so gut das bei ihrem kurzen Schnitt möglich war, und in eine breite Spange aus Horn geklemmt. Sie musterte Natalja kurz, und in ihre Augen trat ein merkwürdiger Glanz, dann streckte sie ihre rechte Hand aus und umfaßte Nataljas schmale Finger.
»Seien Sie willkommen bei den Kunzews«, sagte sie. Ihre Stimme hatte einen dunklen, weichen Klang, der so gar nicht zu ihrem strengen Äußeren paßte. »Es freut mich, daß wir uns kennenlernen.«
Kunzew verstand die Welt nicht mehr. Er starrte seine Tochter entgeistert an, als sei ein Gespenst in seine Wohnung geflogen. Er hatte eine starke Ablehnung erwartet, eine kühle, distanzierte Begrüßung, bei der es ihn schauderte … und jetzt das?! Kenne sich einer bei den Weibern aus!
»Nehmen Sie Platz, Natalja Petrowna!« rief er, noch mehr erfreut als vorher, da er ein wenig Angst vor dem Abend gehabt hatte, das gab er zu. »Vorweg einen Kognak? Von der Krim. Das Beste, was ich hier bekommen konnte. Oder trinken Sie einen Mautai? Kennen Sie Mautai? Ein Schnaps aus China. Er feuert die Geister an. Wählen Sie …«
»Lassen wir es langsam angehen, Iwan Semjonowitsch. Der Abend ist noch lang.« Sie blickte Nina in die leuchtenden Augen, eigentlich das Schönste an ihr. »Sie haben sich soviel Mühe gemacht.«
»Für einen lieben Gast ist Mühe ein Vergnügen.«
Kunzew goß einen
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