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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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habe sie zusammen gesehen …«
    »Komm!« Die Mutter zog den Jungen weiter. »Red nicht so laut über fremde Leute. Das ist unhöflich.«
    »Ich habe doch nichts Schlechtes gesagt, nur dass er gegenüber …«
    Jetzt blaffte ihn der ältere Bruder an. Die Geschwister verstanden sich nicht allzu gut, der Jüngere fiel dem Älteren auf den Wecker, ein schwieriges Alter. Jasmin ging ähnlich rüde mit ihrer jüngeren Schwester um.
    Er schaute der Frau noch einmal nach, wie sie fortging, schlank, das Haar offen, im kurzen Sommerkleid. Sie hat schöne Beine, dachte er, und sie hat einen leichten Gang. Der jüngere Sohn drehte sich wieder um, zerrte an der Hand seinerMutter, wollte sie auf etwas aufmerksam machen, und es sah wieder aus, als winke er Georg zu. Er hob auch die Hand, doch die Bewegung erstarrte auf halber Höhe.
    Georg schlenderte weiter, mit einem Mal missmutig gegen die Müdigkeit kämpfend, er passierte die Bäckerei Kunstmann mit den entfernt an Gotik erinnernden Fenstereinfassungen, wo hinter ausgeräumten Schaufenstern alles dunkel war. Er hatte auch heute wieder am Stehtisch einen Kaffee getrunken, es war ein guter Platz, um die Bewohner zu beobachten. Die Verkäuferin hatte ihn wiedererkannt und begrüßt. Auf derartige Vertraulichkeiten wartete man in Hannover ein halbes Jahr. Als er sah, wie zwei ältere Männer sich an der nächsten Ecke begegneten und sich lieber aus dem Weg gegangen wären, kam ihm in den Sinn, was er gestern über die Mosel gelesen hatte: »… doch ein Dorf ist ein hartes Pflaster. Alle für keinen und jeder für sich, so schien das, wenn man von außen in die festgefügte Welt aus drei Nachnamen kam – und wehe, man brachte einen neuen.«
    Ich werde keinen neuen bringen, sagte sich Georg, ich wäre auch in die Pfalz gereist, wenn Sauters Weingut dort gestanden hätte.
    Es war nicht der Reiz dieser einmaligen Kulturlandschaft, der ihn hergeführt hatte, es war nicht der Reiz des Weins, angeblich einer der besten deutschen Rieslinge, worüber er sich kein Urteil anmaßen konnte. Er war hier aufgeschlagen, gestrandet oder notgelandet – aber dafür ging es ihm nicht schlecht. Das Schlechte war da draußen irgendwo, außerhalb dieses Tals, es war nicht hier.
    Wie waren die Menschen in seiner neuen Umgebung, mit denen er zu tun hatte? Sie gingen freundlich auf ihn zu, bis auf Bischof, der an irgendeinem tief sitzenden Problem litt. Georg merkte, wie er auf einmal wieder über Menschen nachdachte, und das gänzlich anders als zuvor. Er hatte sie bisher in ihrer Funktion gesehen, hier sah er das Wesen. Lag es daran, dass er bislang in seiner Funktion über anderen gestandenund über Leben entschieden hatte? Er hatte Einstellungen vorgenommen, Gehaltserhöhungen ausgeschlagen oder befürwortet. Und jetzt, wo er nichts mehr zu befürworten hatte  – nur zu fragen  –, sah er die Menschen, bewegte sich auf ihrer Ebene. Die anderen wussten Bescheid, nicht er, sie sagten ihm, an welcher Stelle der Abfüllanlage er zu stehen habe. Ein Ort war ihm zugeteilt, ein Zimmer ebenfalls. Hatte sich nichts geändert? War alles so wie bisher? Damals hatte sein Chef ihm den Firmenwagen zugeteilt, und vom nächsten Tag an war er Mercedes gefahren, obwohl er diese Kisten nicht leiden konnte. Ein Alfa Romeo wäre ihm lieber gewesen.
    Mit Klaus sprach er von Gleich zu Gleich, als gäbe es keinen Altersunterschied von zwanzig Jahren, als gäbe es diese unterschiedliche Lebenserfahrung nicht. Doch was nützten Erfahrungen, wenn man sie nicht reflektierte? Sie waren wertlos, sie machten nur älter und müde. Er wusste noch immer nicht, was er begreifen sollte. Es waren keine klar formulierten Fragen, die ihn quälten.
    In den Straßen von Zeltingen waren deutlich mehr Leute unterwegs als in den vergangenen Tagen. Das Wochenende stand bevor. Die Touristen kamen. Wochenende! Er hasste sie, diese nie enden wollenden, grauenvollen Wochenenden. Es gab eine Zeit, da hatte er sie herbeigesehnt, hatte Zeit für die Mädchen gehabt, worüber Miriam sehr »happy« gewesen war, so konnte sie sich ganztägig auf dem Tennisplatz tummeln … Aber jetzt? Was sollte er mit sich anfangen, zwei lange Tage  – und zwei Nächte lang? Bücher lesen über Weinbau? Klaus hatte von einer weiteren Versammlung gesprochen, von der Veranstaltung der Bürgerinitiative gegen den Bau der Hochmoselbrücke. Wenn er dort hinginge, bekäme er zumindest ein bekanntes Gesicht zu sehen und hätte einen Grund, rüber nach Ürzig zu

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