Tödlicher Steilhang
fahren. Vormittags könnte er sich in diesem Pünderich umsehen und bei Clemens Busch Weine probieren, aber nur mit Klaus zusammen. Alleinwürde er sich blamieren, jeder Winzer würde merken, dass ihm jegliches Wissen abging.
Der Weg bis zum »Zeltinger Hof« war ihm lang vorgekommen, bei der Fülle der Gedanken, die wie Regenschauer über ihn hereinbrachen. Es waren jedoch höchstens vierhundert Meter, und er war erstaunt, als er aufschaute und vor dem Restaurant stand. Links vom Gebäude, vor Urzeiten eine Metzgerei, lag der Biergarten. Der Regen war getrocknet, es war angenehm warm geworden, er hätte gut draußen sitzen können, wenn an den Tischen zwischen verwitterten Barriques und unter weißen Sonnenschirmen Platz gewesen wäre. So aber hoffte er auf einen freien Platz im Schankraum und betrat das Lokal. Gleich hinter dem Eingang fesselte eine riesige Kollektion von Weinflaschen seine Aufmerksamkeit. An der Wand vor dem Tresen reihte sich Flasche an Flasche in mehreren Lagen übereinander, alles Weine von der Mosel. Eine Kellnerin sprach ihn an und wies auf einen Tisch, an dem zwei ältere Herren saßen, nur dort sei noch Platz. Er war unschlüssig, ob er die Einladung annehmen oder sich lieber zurückziehen sollte, doch dann siegte die Angst vor der Leere. Auf dem Tisch zwischen den Herren standen mehr als zehn Weingläser, sie schienen ihre private Weinprobe zu zelebrieren.
Die beiden Geschäftsleute aus Koblenz luden ihn ein, dabei mitzutun: »Der Wirt fördert das«, sagte einer der beiden. »Dort drüben an der Wand stehen einhundertsiebzig Weinflaschen. Jede können Sie probieren, da sparen Sie sich zeitraubende Besuche bei Winzern. Das, was da steht, hat der Wirt selbst ausgesucht.«
»Sechshundertsechsundsechzig Weine bietet das Haus insgesamt, aber von diesen hundertsiebzig dort, allesamt von der Mosel, können Sie auch nur ein Gläschen verkosten. Für zehn Euro können Sie fünf Weine probieren, von trocken bis lieblich. Wenn Sie selbst auswählen, kriegen Sie für den gleichen Preis nur vier. Genau das machen wir.« DerMann machte in seiner Begeisterung den Eindruck, als hätte er bereits mehr als einen Riesling probiert. »Wir beginnen jetzt die zweite Runde. Steigen Sie ein?«
Erst als Georg bereits zugestimmt hatte, fiel ihm ein, dass er sich wie immer verhielt, aber jetzt war es zum Aussteigen zu spät. Zumindest hatte er noch eine Option.
»Ich möchte unter den Weinen einen von Clemens Busch probieren und einen von Susanne Berthold, hier aus dem Ort. Allerdings weiß ich noch nicht, ob ich einen Riesling will, ich weiß doch nicht, was ich essen werde.«
»Na, wenn Sie Clemens Busch bestellen, kennen Sie sich aus«, staunte der Mann in der roten Weste, der sich als Arzt vorgestellt hatte. »Zu jedem Essen findet sich ein passender Riesling, man wundert sich.«
»Außer vielleicht zu einem Rinderfilet mit Rosinen in Rotwein und Trüffeln«, meinte sein Begleiter, ein Anwalt. »Ich bin konservativer, ich bevorzuge Riesling zu Fisch, zu hellem Fleisch, Schweine- und Kalbsmedaillons und einen halbtrockenen oder feinherben zu den krabbelnden Meerestieren wie Krabben und Crevetten.«
»Bestellen Sie den Rehrücken, und nehmen Sie einen gereiften Riesling dazu«, konterte der Arzt. »Ich nehm ’s auf meine Kappe. Sie nehmen den …«
Georg schaute auf und nahm die Speisekarte aus der Hand der Kellnerin entgegen, sie nahm die Weinbestellung auf.
»Für unseren Freund hier dasselbe wie für uns, aber statt der Trittenheimer Apotheke von den Bischöflichen und dem Piesporter Goldtröpfchen von Gernot Hain will er den Riesling vom roten Schiefer von Clemens Busch und den Wein einer gewissen Frau Berthold? Richtig?«
»Eine Spätlese der Zeltinger Sonnenuhr, drei oder zwei Jahre alt, ich kann nachschauen …«
Georg winkte ab. »Bringen Sie mir, was Sie von ihr haben.« Er wollte nur sehen, ob der Wein ihm so gut gefiel wie … sie? Dann schlug er die Weinkarte auf und las, die Namender Weine und Winzer und Lagen nahmen kein Ende. Eine derart umfangreiche Rieslingkarte hatte er nie zuvor gesehen.
»In meinem Beruf habe ich so viel Ärger«, meinte der Anwalt, »eigentlich lebe ich vom Ärger, den ich mir mit Riesling vom Leib halte, nicht mit der Menge, mehr mit dem Geschmack. Der Wein muss dem Essen Paroli bieten können. Der Riesling macht das mit Säure und Süße, mit dem Restzuckergehalt. Bei einer Menüfolge muss der Höherwertige auf den Einfacheren folgen. Mit dem Trockenen beginnt
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