Tödlicher Steilhang
verachtend.
»Dann ist es eben so, außerdem ist das nicht irgendein Job«, hatte er trotzig geantwortet. Wie er sich dabei fühlte, war ihr gleichgültig.
»Niemand wird es dir danken«, hatte sie gegiftet. »Allein richtest du gar nichts aus. Sie schmeißen dich raus. Also mach weiter und sei still!«
Jetzt, wo er Zeit fand, sie sich nahm, und über die Dinge nachdachte, wurde ihm sein Verhalten bewusst. Die Schuld auf andere abzuschieben funktionierte nicht mehr. Miriam hatte recht behalten, jeder Versuch, in der Firma Verbündete zu finden, war an Gleichgültigkeit, Angst und mangelndem Verständnis gescheitert – und an einer gänzlich anderen Bewertung der Geschehnisse. Und hier an der Brücke hoffte die schweigende Mehrheit, dass zehn Holländer oder zwanzig belgische Touristen pro Jahr mehr kamen und dass man drei Minuten früher bei Aldi in Wittlich war.
Als Georg aufstehen und gehen wollte, schaltete jemand die Mikrofonanlage ein, und der Winzer, Vorsitzender der Bürgerinitiative, betrat das improvisierte Podium, einen Stapel Paletten. Es war der Mann, sein Auftreten und seine Ausstrahlung, die Überzeugung in seiner Haltung, die Georg bleiben ließen.
Helmut Menges war einige Jahre älter als er, groß und schlank, er hatte grau meliertes, etwas lockiges Haar und einen Schnurrbart. Er trug Jeans und ein Sakko über dem weißen Hemd, und er lächelte. Es war kein aufgesetztes Lächeln, kein fotogenes Zähnefletschen, er schien sich wirklich zu freuen, so viele Interessierte auf seinem Hof begrüßen zudürfen. Es waren in den letzten Minuten noch etliche Besucher dazugekommen. Menges dankte dem heiligen Cyriak, einem der vierzehn Nothelfer, und dem heiligen Urban von Langres – »nicht zu verwechseln mit Papst Urban I.« – für das wunderbare Wetter. Wenn ihnen jetzt noch der heilige Christophorus zur Seite stünde und mit ihnen den Ausbau der B 50 und den Hochmoselübergang verhindern würde, wäre alles gut. Mit dieser Einleitung gewann er sein Publikum, erhielt er den ersten Lacher und damit den ersten Beifall. Und er versicherte den Gästen, dass er wesentlich lieber im Wingert arbeiten würde, sogar am Sonntag, als sich über ein Projekt auszulassen, das wenigen nutze, hingegen vielen schade und bei dem viele negative Folgen nicht abzusehen seien. Außerdem würde die Brücke diesen historischen, bereits weit vor den Römern durch die keltischen Treverer besiedelten Raum, diese auf der Welt einzigartige Weinlandschaft auf immer verändern.
»Wein verlangt von uns mehr, als ihn zu keltern. Was er alles verlangt, wusste ich als junger Mann nur ansatzweise, als ich mich für den Beruf des Winzers entschied. Wenn man uns vorwirft, dass wir jetzt, wo es angeblich zu spät sei, versuchen, die Brücke zu verhindern, so erklären wir, dass wir nur das fortsetzen, was andere vor Jahrzehnten begonnen haben, die heute nicht mehr leben – wie auch die ersten Planer und Befürworter. Aber der Irrsinn besteht weiter.«
Nach dieser Begrüßung sprach er davon, dass er zuerst die Argumente der Befürworter zitieren werde, denn man werde sich, im Gegensatz zu den Betreibern, mit allen Argumenten auseinandersetzen. Sie hätten davor keine Scheu, was man von ihren Gegnern nicht sagen könne, denen jedes offene Gespräch zuwider sei und die sich lieber mit den Lokalpolitikern in Hinterzimmern träfen. »Wir haben auch sie eingeladen, aber sie sind nicht gekommen! Sie scheuen die öffentliche Debatte.«
Menges gab einen Abriss der Schaubilder, sprach über dieGeschichte des Großprojekts und die ideologische Neuorientierung auf verkehrspolitische Ziele, seit die militärische Nutzung von der Wiedervereinigung überholt worden war. »Bestes Beispiel ist der Rückgang der Tiefflüge der Thunderbolt II, die uns jahrelang zwangen, die Köpfe einzuziehen. Diese Flüge wurden uns als genauso alternativlos verkauft wie heute die Brücke. Alles ist alternativlos! Das ist das Unwort des Jahres.«
Georg hatte die langsam fliegenden und immer zu zweit auftauchenden Flugzeuge zur Panzerbekämpfung gesehen, als sie im Schlossberg grüne Trauben weggeschnitten hatten.
Der Beifall ließ ihn aufschauen und zwang den Winzer zum Innehalten. »Es gibt viele Argumente seitens der Befürworter, die zu bewerten die Sache jedes Einzelnen ist. Die Landesregierung Rheinland-Pfalz spricht davon, dass es um die Fernstraßenverbindung des Rhein-Main-Gebiets über die A 61 und die B 50 mit den holländischen und belgischen
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