Tödlicher Steilhang
immer ab, ihr habt euch längst arrangiert. Friede, Freude, Eierkuchen – und morgen sitzt ihr mit den Bullen beim Wein, wie beschissen gemütlich. Aber so geht es nicht, das garantiere ich dir …«
Der Polizist sah dem jungen Mann, der sich schimpfend abwandte, bedauernd nach. Der Winzer zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Das geht nicht gegen Sie persönlich. Soweit ich weiß, waren Sie mit der Untersuchung des Überfalls nicht betraut. Es ist wirklich besser, dass Sie gehen. Das Wort ›Polizei‹ reizt immer.«
»Es wird immer schlimmer«, meinte Wenzel beleidigt und ging zu einem Wagen, in dem ein zweiter Beamter saß, setzte sich auf den Beifahrersitz und drehte sich im Wegfahren noch einmal um.
Es war dieser Blick, beleidigt und nachdenklich, der Georg annehmen ließ, dass man mit Wenzel zusammenarbeiten konnte. Er würde versuchen, später mit ihm ein Gespräch aufzunehmen.
Menges’ Tod war das beherrschende Thema des frühen Abends. Wer mochte ihn in den Weinberg bestellt haben? Wieso hatte niemand gesehen, dass die Weinstöcke abgesägt worden waren? Das musste nachts oder während der Versammlung am Sonntag geschehen sein, sodass der Täter sicher gewesen sein konnte, dass niemand im Wingert arbeitete. Sonntags gaben auch die Lohnunternehmer ihren Leuten frei. Es wurde darüber spekuliert, was geschehen wäre, wenn Menges die Warnungen der Schläger ernst genommen hätte, aber es führte zu nichts, über das »Was wäre, wenn« zu spekulieren. Menges war tot – ein neuer Vorsitzender musste gewählt werden.
Georg beugte sich zu Klaus. »Wissen Sie, wer dieser Manfredist, der Typ in der rot-schwarzen Motorradjacke?«, fragte er.
Klaus hatte bislang nichts mit ihm zu tun gehabt. »Ich weiß nur, dass er aus Traben-Trarbach stammt, er fährt eine heiße Moto Guzzi V11, eine geile Maschine, die hätte ich auch gern, aber die kann ich mir nicht leisten – noch nicht.«
»Was macht er beruflich? Wie alt ist er?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Nur so …«, sagte Georg und wusste, dass Klaus es ihm nicht abnahm, aber das war egal. Später würde er es ihm sagen.
Es wurde ein Winzer zum neuen Vorsitzenden der BI gewählt, in den Medien machte es sich gut, einen Betroffenen sprechen zu lassen.
Danach wurden Aufgaben verteilt, unter anderem, wer die Stellungnahme zum Tod des ehemaligen Vorsitzenden schreiben sollte. Über den Inhalt dieser Erklärung entspann sich eine heftige Debatte, sie entzündete sich an der Frage: Mord oder Unfall?
Manfred machte sich schnell zum Wortführer derer, die der These vom Mord anhingen. Alle Umstände sprächen dafür, die ganze Geschichte ihres Widerstandes sowieso. Hier zeige sich, wie hart das System zuschlage, wenn es um Geld gehe.
»Dreihundertsiebzig Millionen sind es heute, morgen sind es fünfhundert. Sie stecken sich unser Geld ein, wie in Stuttgart, in Berlin und Hamburg. Das müssen wir dem Bürger klarmachen. Unser Freund Menges war der erste Tote, andere werden folgen, werden sich dort oben totfahren«, er zeigte theatralisch zum Himmel. »Sie werden sich von dort herunterstürzen wie von der Brücke der A 61 in Winningen. Wir müssen mehr unternehmen, eine deutlichere Sprache sprechen, wir müssen überzeugendere Aktionsformen finden, wir sind genauso langweilig wie die Grünen. Wir müssen radikal sein, wir müssen dem Bürger Entschiedenheitzeigen, müssen Beispiele geben und Zeichen setzen!« Bei den letzten Worten ballte er die Rechte zur Faust.
So ist es immer, dachte Georg. Wenn sie die Menschen, ihren Verstand und ihre Herzen nicht mehr erreichen, wenn ihnen nichts mehr einfällt und der Protest nicht zündet, werden sie radikal, und Radikalität wird zum Ziel. Es war genau das, was der Apparat, wie er es nannte, brauchte, um die Bürgerinitiative in Misskredit zu bringen.
Es gab sie natürlich, die Ängstlichen, die Zauderer, die Unentschlossenen und die ewigen Zweifler und die, die man nie überzeugen würde, weil sie einfach gegen alles waren, damit sie sich nicht bewegen mussten. Auf die konnte man verzichten, aber der Rest musste zusammenbleiben. Klaus sah ihn fragend an, er merkte, wie er dem Jungen eine Orientierung bot.
»Was halten Sie von der Rede?«
»Wenig«, sagte Georg, »eigentlich nichts. Passen Sie auf – bald wird er Sie ansprechen, erst mit Ihnen über Ihr Motorrad reden und dann Sie fragen, ob ihr nicht nachts einen Baucontainer abfackeln sollt. Ob er so handelt, weil er ein Problem mit seinem Vater hat,
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