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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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eins, die Sonne brennt nur so vom Himmel, und ich mache mich auf, Dr. Omar Letley zu interviewen, den Psychiater, der bei seiner Arbeit unmittelbaren, persönlichen Umgang mit diesen Männern hat. Als ich den Stift einstecke, streift meine Hand in der Tasche die kühle, glatte Oberfläche meiner Waffe.
    Als ich nach Katrina meine verängstigte, weinende Mutter in einem Motel in Lafayette zurückließ und in meinem schwarzen Pontiac das erste Mal wieder nach New Orleans fuhr, kam ich in eine fremde Welt. Natürlich war es ein Schock – es war entsetzlich –, meine Stadt Land unter zu sehen. Und dann war da diese unheimliche Stille. Es gab keine Vögel mehr, keinen Strom, der die Klimaanlagen hätte summen lassen. Kaum ein Autofahrer wagte sich auf die Straße. Es sah aus, als sei bei der Verwüstung auf irritierende Weise der Zufall am Werk gewesen: Ein Haus war völlig hinüber, während das daneben scheinbar unangetastet dastand, noch tadellos in Schuss. KeinSinn lag der Zerstörung zugrunde, keine Logik, sie war keiner Gerechtigkeit gefolgt, keinem Muster. Eine überirdische Ruhe lag über der heißen Stadt.
    Unter den wenigen, die geblieben waren, herrschte eine merkwürdige, fröhliche Wild-West-Mentalität. Eine Art Gesetzlosigkeit. Außerdem war es von Anfang an eine rein maskuline Kultur, und die Männer, die in die Stadt zurückkehrten, waren stolz darauf, dass sie in dieser rauen Welt zurechtkamen, dass sie aus Kühlboxen lebten und nicht viel brauchten. Ich wollte eine Story schreiben, die die Chefs der Times-Picayune dazu bringen würde, mich Vollzeit einzustellen, deshalb interviewte ich jeden, der bereit war, ein paar Worte zu sagen.
    »Schlimm, was? Das ist uns allen klar«, sagte ein Bauunternehmer, ein Weißer Mitte dreißig, der plötzlich mit mehr Aufträgen rechnen konnte, als er je würde übernehmen können. »Es ist zum Kotzen, eine einzige riesengroße Scheiße. Es bricht einem das Herz. Aber trotzdem muss ich sagen: Es ist auch irgendwie cool.« Er lachte und nahm einen Schluck aus seiner Jack-Daniel’s-Flasche. »Kein Telefon, kein Fax, kein Chef, keine Cops. Du kannst einen Joint rauchen, während du durch die Gegend fährst, kannst auf dem Sitz neben dir eine Pistole liegen haben – das reinste Paradies!« Einmal bin ich an einem Mann vorbeigefahren, der bei fünfunddreißig Grad mit nacktem Oberkörper seinen Rasen mähte und im Hosenbund seiner Shorts eine Knarre stecken hatte.
    Wann ist es in Ordnung, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen? Wenn man von aller Welt verlassen wird? Wenn die Obrigkeit auf ganzer Linie versagt? Überall waren Waffen. Nach ein paar Tagen bin ich wieder nach Lafayette gefahren, wo – wie ich schon vermutet hatte – meine Mutter vor Sorge ganz außer sich war. Danach habe ich sie nicht noch einmal allein gelassen. Ein paar Wochen nach dem Sturm sind wir zusammen zurückgekehrt, und so ziemlich das Erste, was ich dann getan habe – außer dass ich meine Story und meinen Lebenslaufan die Picayune geschickt habe –, war, mir eine Waffe zuzulegen.
    Ich erinnere mich genau an den Tag. Der Mann hinter dem Tresen war groß, schlaksig und braungebrannt, er hatte ein langes Gesicht, aschblondes Haar, einen militärisch kurzen Bürstenschnitt. Er musterte mich von oben bis unten.
    »Für zu Hause oder draußen?«
    »Für draußen.« Ich zog meinen Antrag hervor und breitete ihn auf dem Glastresen aus. In Louisiana dauert es dreißig Tage, bis man die Genehmigung erhält, eine verdeckte Waffe mit sich zu führen; ich wollte, dass diese Wartezeit schnellstmöglich begann.
    »Gut, okay. Die Zahl der Anträge ist gestiegen.«
    »Ja?«
    »Ja.« Er klang sehr zufrieden. »Hat sich fast verdoppelt. Katrina hat’s gut gemeint mit uns. Vierzig Prozent mehr Umsatz.«
    »Wegen des Sturms?«
    »Ja. Katrina hat den Markt belebt.« Aus seinem Mund hörte sich das komisch an, es klang, als hätte er die Formulierung auf einer Schulung für Waffenverkäufer gelernt. »Plötzlich kommen sie alle zu mir: Großmütter, Lehrer, Friseusen. Schwarze, Weiße, alle. Bei so viel Kriminalität muss man eben was tun.«
    Am liebsten hätte ich mein Notizbuch herausgeholt und ihm ein paar Fragen gestellt, aber ich war schließlich wegen einer Waffe in seinem Geschäft und nicht wegen einer Story. »Ich brauche eine Halbautomatik, eine, die ich in die Handtasche stecken kann.« Eine ganze Weile ruhte sein Blick auf der roten Ledertasche, die ich über der Schulter trug, dann nickte er,

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