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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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Essen sitzt.«
    Calinda kaut auf der Unterlippe. »Vielleicht traut er sich von Mal zu Mal mehr.«
    »Oder er ist entschlossener.«
    »Hey!« Jetzt schaut sie mich besorgt an. »Wieso willst du das alles überhaupt so genau wissen?«
    Ich zucke die Achseln. »Mein Hobby.«
    »Nein, im Ernst, Nola. Warum interessiert dieser Fall dichdermaßen? Und wieso wolltest du die ganzen Akten haben? Auf was für eine Story haben die Leben-&-Mehr-Leute dich da angesetzt?« Sie hält kurz inne. »Oder hat das mit dir selbst zu tun?« Jetzt schaut sie mich von der Seite an.
    »Ach was«, sage ich, »erzähl keinen Unsinn. Ich helfe da in der Redaktion nur bei etwas aus. Nichts Besonderes. Aber bevor du fährst – sag mal, woher weißt du das eigentlich alles? Wo das Armband gelegen hat und so weiter? Die ganzen Details?«
    Ihr Mund verzieht sich zu einem verschmitzten Lächeln. »Es ist noch nicht spruchreif«, sagt sie, »aber möglicherweise bahnt sich da was mit einem von den Ermittlern an.«
    »Ernsthaft?«
    »Nein, verdammt, nicht ernsthaft.« Sie lacht. »Wir flirten nur so ein bisschen.«
    »Nein. Ich meine, du triffst dich wirklich mit einem Cop?« Nennt mich ein altmodisches Mädchen aus den Sozialwohnungs-Projects, aber sich mit einem Polizisten zu treffen heißt für mich, praktisch mit dem Feind schlafen.
    Calinda ist irritiert. »Na klar. Er sieht gut aus.« Dann wedelt sie mit einer Hand in Richtung Restaurant. »Und ist nützlich.«
    Wir umarmen einander, und dann setzt sie sich ins Auto. Ich schaue ihr einen Augenblick hinterher.
    Da ich ohnehin im Quarter bin und nichts Bestimmtes vorhabe, schlendere ich zum Haus von Blake Lanusse. Ich will mir das Kloster noch einmal ansehen. Vor einiger Zeit habe ich eine Reportage über die Architektur im Quarter gemacht und dabei begriffen, dass die Geschichte des Klosters viel über das im frühen New Orleans herrschende Verhältnis zwischen Klassen und Geschlechtern verrät.
    Im frühen 18. Jahrhundert wurde in der wachsenden Kolonie Louisiana ein ständiger Zustrom an Frischfleisch gebraucht – und Frankreich, seiner Verbrecher überdrüssig, lieferte bereitwillig. In den Straßen von Paris wurden Prostituierte, Diebe oder schlicht Obdachlose zusammengetrieben, an der Schultermit der Bourbon-Lilie gebrandmarkt – was sie für den Rest ihres Lebens als Gesetzesbrecher auswies – und gegen ihren Willen per Schiff in die Neue Welt verfrachtet. Sorgten sie für Unruhe, weil sie zu lautstark protestierten, wie 1719 beispielsweise 150 Frauen, wurden sie von Polizisten erschossen.
    In der Kolonie New Orleans, wo es keine anderen französischen Frauen gab, waren selbst diese so genannten »gebesserten« Mädchen für Soldaten und Siedler willkommene Gefährtinnen. Die Männer verziehen ihnen Prostitution und Armut, heirateten sie und fingen mit ihnen neu an. Die Fahrt über den Atlantik hatte die Frauen von ihrer Vergangenheit reingewaschen.
    1727 gründeten zwölf Ursulinerinnen das Kloster. Im Jahr darauf traf aus Paris die erste Ladung »guter«, reiner Jungfrauen ein. Sie entstammten bürgerlichen Familien, denen es nur nicht gelungen war, zu Hause in Frankreich den jeweils passenden Ehemann zu finden. Die jungen Frauen waren darauf aus zu heiraten und hofften, in der Neuen Welt eine gute Partie zu machen.
    Jede von ihnen hatte für die Überfahrt eine Kassette bekommen, in der sie ihre persönlichen Dinge aufbewahren konnte. Nach ihrer Ankunft im Kloster der Ursulinerinnen, wo sie in Musik, Sprachen, Religion und den komplizierten französischen Regeln der Haushaltsführung unterrichtet wurden, waren sie allgemein als filles à la cassette bekannt. Kassettenjungfern.
    Sobald die Kassettenjungfern kamen – unberührt wie originalverpackte Puppen und weitaus begehrenswerter als ehemalige Straßenhuren –, bildete sich ein Kastensystem heraus. Je weiter die Gesellschaft von New Orleans wuchs und sich etablierte, desto mehr wurde es zur Statusfrage, ob man von einer unbescholtenen Kassettenjungfer abstammte oder von einem »gebesserten« Mädchen.
    Kassettenjungfern galten als kostbares Gut, und im Kloster der Ursulinerinnen wurden sie – wenngleich nur zwei Straßeneckenvon der Bourbon Street mit all ihren Ausschweifungen entfernt – bis zur Heirat in elegantem, frommem Rahmen sowie unter ständiger Aufsicht verwahrt. Während der Fünfzigerjahre des 18. Jahrhunderts entstand der Gebäudekomplex, wie er heute noch steht. Hinter den hohen weißen Mauern lehrten die Nonnen

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