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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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Häuser auf Vordermann zu bringen, zumindest sieht es jetzt in einigen Straßenzügen von Metairie nach bescheidenem Wohlstand aus. Aber eben nicht überall, und in dem Gewerbegebiet, in dem die Familie von Marisol zur Miete wohnt, ganz bestimmt nicht.
    »Und ihr beiden überlegt euch dann was Schönes, das ihr an dem ersten Samstag unternehmen könnt?«, flötete Guidry Danserne und nickte erst Marisol und dann mir aufmunternd zu. Ja, klar, natürlich, irgendwas.
    Ein dünnes Mädchen mit dunklem Schopf. Marisol hielt sich bedeckt. Sie beobachtete genau, nickte, lächelte aber kein einziges Mal.
    No problema . Ein Mädchen ganz nach meinem Herzen.
    Als ich bei dem hellbraunen Wohnblock vorfahre, in dem die Familie lebt – ringsum nichts als kahler Asphalt –, steht Marisol schon draußen auf der Treppe. Ich begrüße sie und finde es rührend und zugleich etwas befremdlich, dass die Eltern ihre heranwachsende Tochter einfach so mit mir ziehen lassen. Dass sie so viel Zutrauen haben. Ich könnte sonst wer sein. Sicher, die Leute von BBBS, allen voran Guidry Danserne,haben mich überprüft, aber es passiert ständig, dass Bewährungsausschüsse oder vergleichbare Gremien ausgetrickst werden. Ich muss an meine eigene Mutter denken, die mich allein mit dem Bus quer durch die Stadt geschickt hat, nur um mir Zugang zu ernst zu nehmender Bildung zu verschaffen. Aber welche Möglichkeiten gibt es auch? Wenn du willst, dass deine Tochter vorwärtskommt, musst du sie loslassen. Ruhig bleiben und auf die Freundlichkeit fremder Menschen bauen.
    »Kann ich was anderes einstellen?« Marisol zeigt auf das Radio. Momentan läuft der Lokalsender NPR.
    »Ja, klar.« Ich biege wieder in den I-10 ein und fahre zurück nach New Orleans – einfach weil mir kein anderes Ziel einfällt.
    Sie drückt den Sendersuchknopf so oft, bis sie Hip-Hop gefunden hat, dann lehnt sie sich zurück, starrt nach draußen und beantwortet meine wenig originellen Fragen. Wie die Schule ist, zum Beispiel.
    »Langweilig.«
    Was sie sonst so macht?
    »Nichts.«
    »Wie lange wohnst du jetzt hier? Zwei Jahre?«
    »Ja.«
    »Hast du das ganze Touristenzeug schon gesehen? Den Zoo? Das Aquarium? Das French Quarter?« Ich spähe zu ihr hinüber.
    Sie runzelt die Stirn, schüttelt den Kopf.
    »Nicht? Noch nichts davon?«
    »Ich glaube nicht«, sagt sie vorsichtig.
    Mich wundert das nicht. Man denkt immer, wer an einem interessanten Ort wohnt, profitiert automatisch davon und nimmt alle Attraktionen mit, aber das setzt voraus, dass man Eltern hat, die die Kraft und das Geld – und nicht zuletzt den Wunsch – haben, einem all die schönen Dinge zu zeigen. Ich selbst als Kind aus dem Neunten Bezirk bin einmal im Audubon-Zoo gewesen, aber auch nur, weil meine Grundschulklasse einen Ausflug dorthin unternahm. Meine Mutter war so gutwie nie im Quarter. Die Architektur, mit der ich groß geworden bin, hatte mit den schmiedeeisernen Brüstungen der Pontalba Apartments wenig zu tun; ich kannte die 262 Backsteinhäuser in den Desire Projects und die kleinen Shotgun-Häuser, die sich in südlicher Richtung an den Komplex anschlossen. Wir blieben in unserem Randbezirk, genau wie Tausende andere Leute, die den Fluss nie zu Gesicht bekommen. Warum hätten wir uns dort wegbewegen sollen? So ziemlich alles, was wir brauchten, bekamen wir im »Family Farm Market« oder bei »Quicky Discount«. Warum hätten wir in Gegenden fahren sollen, in denen wir uns ohnehin fehl am Platz gefühlt hätten?
    Marisols Vater arbeitet Vollzeit, und ihre Mutter muss mit fünf weiteren Kindern fertig werden. Kein Wunder, dass sie sich an den Wochenenden nicht aufmachen, um Kultur zu tanken, selbst wenn sie sich die Eintrittspreise leisten könnten.
    »Auch gut«, sage ich. »Dann suchen wir uns heute was aus.« Ich überlege kurz. Es ist unglaublich heiß. »Wie wär’s mit dem Aquarium? Delfine und so?«
    Sie nickt. Der winzige Ansatz eines Lächelns umspielt ihren linken Mundwinkel.
    Ich stelle den Wagen auf dem Parkplatz beim »Westin« ab, und wir gehen über die Zufahrt zurück zu der großen Freifläche, die sich am Ufer des Mississippi erstreckt. Die Sonne sticht, es sind Unmengen von Menschen unterwegs. Dieses Areal am Fluss – mit dem Aquarium und »Harrah’s Casino« mit seinen Neonlichtern und Springbrunnen, mit der Straßenbahnhaltestelle und den tutenden Dampfern – ist eine Art Disney-Zone, übertrieben und aufgerüscht, knallige Farben, jedes Detail ganz auf die Touristen

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