Toedlicher Sumpf
So ganz anders als die chaotische Erwachsenenwelt in der Wirklichkeit.
Wieder hallt ein Heulen durch die Nacht, leiser diesmal, aus weiter Ferne. Was, wenn es Menschen sind, die diese Laute ausstoßen? Wenn dort Menschen unterwegs sind, die Unglück bringen und die Nacht anheulen? Menschen sind nicht weniger gefährlich als rougarous . Ich ziehe mir die Decke bis zum Kinn und reibe meine Arme.
Es hat keinen Zweck, ich werde nicht noch einmal einschlafen können, auch wenn mir das bei den Kopfschmerzen, der Übelkeit und dem pelzigen Gefühl im Mund mehr als gut täte.
Fünf Uhr fünfzehn. Ich steige aus dem Bett und entferne die leere Wodkaflasche vom Nachttisch. Es kann nicht schaden, den Tag früh zu beginnen. Eine heiße Dusche und ein Kaffee werden meine Lebensgeister wecken und die rougarous einfach wegspülen.
7
Am Samstagnachmittag setze ich mich ins Auto und fahre nach Metairie, wo ich Marisol, meiner neuen Kleinen Schwester, den ersten Besuch abstatten will. Ich bin nervös.
Warum ich es Ende letzten Jahres, um Weihnachten herum, plötzlich absolut zwingend fand, mich um ein Kind zu kümmern, weiß ich selbst nicht. Ich bin gerade mal siebenundzwanzig; die biologische Uhr kann es nicht gewesen sein. Vielleicht hat sich der Gedanke in mir breitgemacht, weil ich häufig bei meiner Mutter war, die unablässig vom Heiraten und Kinderkriegen redet. Oder es kam daher, dass ich so oft in der Kirche war, wo ich dauernd Maria und das Jesuskind vor Augen hatte. Ich wollte kein Kind, mit Sicherheit, und der kleine Schniedel von Jesus irritiert mich immer wieder – es kommt mir irgendwie ungehörig vor, den Schwanz des Herrn anzustarren –, aber etwas an Marias Blick, an dem Glanz in ihren Augen, muss mich angesprochen haben. Eine Zärtlichkeit, die in meinem Leben nicht vorkommt. Ich dachte wohl: Wenn ich mich um ein Kind kümmere, spüre ich auch etwas davon. Oder so ähnlich, ich weiß es nicht. Ich kann es mir selbst nicht erklären.
Ich wusste, dass ich – jung, ledig und finanziell so gerade eben im grünen Bereich – eine lausige Mutter oder Pflegemutter oder so was wäre. Woher sollte ich auch die Zeit nehmen? Nein, ich wollte irgendwas Überschaubares, keine feste Bindung, eine Art von Freiwilligendienst, den andere organisieren. Es sollte nicht zu persönlich werden. Außerdem redeten die Leute in der Redaktion immer davon, dass man der Allgemeinheit gefälligst etwas zurückzugeben habe, und ich schlug mich deswegen schon mit Schuldgefühlen herum. Vielleichtkonnte ich mit so einer Mentoring-Geschichte beide Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Die Organisation Big Brothers Big Sisters erschien mir goldrichtig. Es hieß, man solle mindestens einmal die Woche zwei Stunden mit dem Kind verbringen. Man solle sich vernünftig benehmen – im Beisein des Kindes nicht trinken zum Beispiel –, und man könne Kosten, die einem entstehen, steuerlich geltend machen. Ich füllte das Online-Bewerbungsformular aus und wartete ab. Mein Zettel war wohl in Ordnung, denn ich wurde für Februar zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Es war ein feuchtkalter Tag mit Nieselregen. Ich traf Guidry Danserne, die Verantwortliche von BBBS, im Quarter – im CC’s Coffeeshop Ecke Royal und St. Philip Street, direkt gegenüber von meiner früheren Schule P. S. McDonogh 15.
Sie notierte sich meine Sozialversicherungsnummer und nahm Kopien von meinem Führerschein sowie drei Referenzen, die ich vorzuweisen hatte, an sich. Sie hat alles überprüft, ehrlich – fehlte nur noch, dass sie mir eine Speichelprobe für einen DNA-Test entnommen hätte. Ich finde das in Ordnung, so versuchen sie, Verrückte auszusortieren oder Perverse wie die, mit denen ich mich gerade beschäftige. Trotzdem ging Guidry Danserne mir ziemlich auf die Nerven.
Als sie fragte, warum ich mich unbedingt um eine Latina kümmern wolle, wo es doch so viele schwarze und weiße Mädchen gebe, die auch bedürftig seien, erklärte ich in aller Form, dass ich mich speziell meiner Community erkenntlich zeigen wolle. Ich erzählte ihr, wie einsam ich selbst früher war als braunes Mädchen in einer schwarz-weißen Stadt und wie wichtig ich es finde, dass Kinder innerhalb ihrer eigenen ethnischen Gruppe Rollenvorbilder haben.
Das hat sie wohl akzeptiert, und ich nehme an, die interne Überprüfung hat auch nichts Kritisches ergeben, denn letzte Woche bekam ich einen Anruf. Sowie ich den singenden Tonfall hörte, wusste ich, dass es Guidry Danserne war, die
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