Toedlicher Sumpf
Hunger?«
Sie nickt und strahlt, dass der Raum gleich heller zu werden scheint. Also machen wir uns auf den Weg zum Ausgang. Zurück in der grellen Sonne, wandern wir schwitzend die Ducator Street hinauf, über den Jackson Square und weiter. Es duftet nach gebratenen Krabben und Austern, nach Hähnchen und in Fett ausgebackenem Teig. Wir haben den Touristenstrom abgehängt. Marisol dreht ständig den Kopf, beobachtet alles ganz genau.
Schließlich stehen wir vor der »Central Grocery«, einem der ältesten Feinkostgeschäfte in den Vereinigten Staaten. Es existiert seit über hundert Jahren, geführt erst von der Lupo-Familie, dann von den Tusas, die alle mit der großen Welle italienischer Einwanderer nach New Orleans gekommen waren. Noch immer prangen oberhalb der Regale verblasste Italien-Poster an den Wänden, und neben einer US-amerikanischen hängt eine italienische Flagge. Drei große Deckenventilatoren verteilen die kühle Klimaanlagenluft gleichmäßig im Raum.
Ich schicke Marisol mit etwas Geld zu dem Cola-Automaten, der brummend im hinteren Teil des Ladens steht, und gehe zum Tresen, um für 6,95 Dollar eine halbe Muffuletta zu bestellen, eins von diesen riesigen, mit mehreren Schichten gefüllten Broten, die es nur in New Orleans zu geben scheint. Das warme Sandwich wird mir in weißem Papier überreicht, das den Aufdruck I love N. O. trägt. Allgegenwärtige Propaganda.
Der Bereich, wo man sich zum Essen niederlassen kann, ist spartanisch eingerichtet: nackter Zementboden, Tische aus weißen Arbeitsplatten mit Metallrohren als Beine. Ich ziehemir einen Stuhl heran, packe das Sandwich aus und schiebe die Hälfte auf einer Serviette zu Marisol hinüber.
»Puh. Bloß gut, dass du nur eine halbe bestellt hast«, sagt sie und knallt unsere Getränke auf den Tisch. Selbst eine halbe Muffuletta könnte zu viel für uns sein; sie hat die Grundfläche einer halben Pizza. Ich greife nach meinem Stück. Man sieht genau, wo das Brot sich mit Öl vollgesogen hat. Marisol schaut mich skeptisch an. »Was ist da drin?«
»Das sehen wir gleich.« Ich klappe mein Brot auf und zeige es ihr. »Hier ist Salami, hier ist Schinken« – mit dicken weißen Fetträndern –, »heller Käse, und das da ist Olivensalat.«
»Eklig. Was ist Olivensalat?«
Ich drücke mit dem Zeigefinger vorsichtig auf die Masse. »Sieht aus wie schwarze und grüne Oliven.«
»Ach nee«, murmelt sie. »Aber was ist das andere Zeug?«
»Sieht aus wie – warte. Wie rote Peperoni. Knoblauch. Was das Orangefarbene ist, weiß ich nicht.«
Sie pickt ein solches Teilchen aus ihrer Brothälfte und inspiziert es. »Möhre?«
Ich probiere. »Genau! Du hast recht, das ist Möhre. Gute Arbeit, Vorkosterin.« Ich lächle ihr zu und beiße von meinem Stück ab. Salz. Öl. »Der Käse – das ist Provolone, glaube ich.«
Endlich überzeugt davon, dass ihr keine ernste Gefahr droht, fängt auch sie an zu knabbern. Zufrieden sitzen wir da, kauen, kippen unsere kalten Getränke und schauen uns um. Von einem Poster, über das ein schwarzer Spitzenschal drapiert ist, blickt Papst Johannes Paul auf uns herab.
»Sprichst du denn jetzt Spanisch, oder was?«, fragt sie mit vollem Mund.
Ich schlucke. Jetzt muss ich ihr erklären, dass meine Mutter, sobald sie gut genug Englisch konnte, um im Alltag zurechtzukommen, aufgehört hat, mit mir Spanisch zu sprechen. Damals haben alle Bildungsexperten zu diesem Vorgehen geraten. »Und als ich ein Kind war, gab es sowieso keine richtige Latino-Szene hier.«
» Que lástima «, sagt sie und zieht eine überlegene, mitleidige Miene. Wie schade . Ich verkneife mir ein Grinsen. »Du sprichst auch den Namen von diesem Brot falsch aus«, fügt sie hinzu und zeigt auf die kleine Speisekarte, die über dem Tresen hängt.
»Oh nein, Süße, überhaupt nicht.« Jetzt bin ich dran mit Überlegensein. »Die Einheimischen sagen Muffa-LOTTa. Wenn du ankommst und was von Muffa-LETTa erzählst, weiß jeder, dass du nicht von hier bist. – Eine turista .«
Sie ist vergrätzt, formt aber das Wort ein paar Mal lautlos mit den Lippen, und ich tue so, als bekäme ich es nicht mit. Wahrscheinlich kennt sie das bohrende Gefühl, nicht dazuzugehören, und weiß, wie wichtig es ist, die richtige Sprache zu sprechen.
» Mira «, sage ich und zeige auf ein Schild, das über der offenen Küche angebracht ist. Es besagt, dass dort weder Fotografieren noch Filmen erlaubt ist.
»Warum haben die sich so?«
»Weil das Muffuletta-Rezept geheim
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