Toedlicher Sumpf
haben Sie mich überhaupt ausfindig gemacht?«
Er grinst. »Das Telefonbuch ist nicht geheim.«
Toll. Dann weiß die Gemeinde der Sexualstraftäter also, wo ich wohne.
»Na gut. Schießen Sie los. Warum sind Sie zurückgekommen?«
Er erzählt von der Evakuierung zu einem Cousin in Texarkana – »nach einem Monat in diesem Dreckloch wäre ich notfalls auch zu Fuß zurückgekommen« –, dass die Hausbesitzer in armen Wohngegenden sich nicht die Mühe machen, einen Mieter, der nur ein Zimmer will, zu überprüfen, und dass es sehr wohl möglich ist, sich mit Gelegenheitsjobs und ein bisschen Dealerei nebenher über Wasser zu halten.
»Ich war Schlosser«, erklärt er. »Schlüsseldienst. Früher. Offiziell zugelassen und alles. Jetzt stellt mich keine Firma mehr ein. Die verlangen alle, dass man arbeitstechnisch versichert ist, und niemand versichert einen Ex-Knacki. Aber mein Werkzeug hab ich noch. Ich kriege Autos auf, Häuser, alles. Es spricht sich herum, dass ich billig bin, und die Leute rufen mich an.«
»Wie ist es, wieder draußen zu sein? Und nicht registriert?«
»Ich bin ein freier Mann, Süße. Führe ein normales Leben. Muss mich nicht dauernd irgendwo melden wie die anderen Idioten. Dieser Haufen Trottel, die immer machen, was ihnen gesagt wird. Katrina hat mir mein Leben zurückgegeben. Ich muss mich nicht blöd anglotzen lassen, hab nicht ständig die Cops im Nacken, die mich ausquetschen, wenn irgendwo wieder ein Sexualdelikt begangen worden ist.«
»Apropos.« Ich hole den Amber-Waybridge-Flyer hervor und breite ihn auf meinen Knien aus. Als ich die dunklen Augen und das Lächeln wieder sehe, muss ich schlucken. Bereitwillig und vertrauensvoll hat sie in diese Kamera geschaut, ohne eine Spur von Furcht. »Wissen Sie etwas über den Fall? Über die Frau, die verschwunden ist?«
Er sieht das Bild prüfend an. Vielleicht einen Augenblick zu lange. »Ich glaub, ich hab sie im Fernsehen gesehen«, sagt er schließlich betont beiläufig und scheint sich die Worte doch genau zurechtzulegen. »Eine Touristin, oder?«
Ich nicke. Warum ist er hier? Warum setzt er seine kostbare, neu gewonnene Freiheit aufs Spiel, um mir seine Geschichte zu erzählen? Treibt ihn das Bedürfnis zu beichten? Ich mustere ihn, seine schlaksige Gestalt, und frage mich, ob er stark genug wäre, eine erwachsene Frau durch einen dunklen Flur zu zerren.
Ich wähle meine Worte ebenfalls mit Bedacht. »Was können Sie mir über sie erzählen?«
»Ich? Ach, ich – Scheiße, ich weiß gar nichts.«
»Nur rein hypothetisch.«
»Na ja, eins kann ich sagen.« Hochmut flackert und funkelt in seinem Blick. »Der Mann, der das gemacht hat, muss ziemlich clever sein. Jedenfalls wenn er davonkommen will.«
»Das heißt?«
»Ist doch logisch.« Er lehnt sich gegen das Treppengeländer. »Nimmst du eine Einheimische, sind die Cops hinter dir her. Es steht in der Zeitung. Wenn eine Leiche auftaucht, ist von einer Tragödie die Rede, aber irgendwann legt sich der Sturm.« Er reibt sich mit einer sehnigen Hand das Stoppelkinn. »Aber eine Touristin – in dieser Stadt? Jetzt, wo alle sich über die Wirtschaftslage aufregen? Da heizen sie dir richtig ein. Da nehmen sie dich in die Mangel und machen dich zum abschreckenden Beispiel.«
»Sie haben eben gesagt: ›Wenn eine Leiche auftaucht.‹ Warum meinen Sie, dass die Frau tot ist?«
Sein Lachen klingt hohl. »Klar ist sie tot. Oder wird es bald sein.«
»Warum sind Sie sich da so sicher?«
»Wer lässt schon einen lebendigen, sprechenden Beweis laufen?« Er schüttelt den Kopf. »Das geht nicht. Er bringt sie um. Hat sie wahrscheinlich schon umgebracht.«
Um uns her ist es dunkel und sehr still. »Würden Sie es so machen? Rein hypothetisch?«
Er verändert seine Haltung etwas, streckt die Hand aus und streicht mit einem Finger über Ambers Wange. Durch das Papier spüre ich den leichten Druck.
»Hübsches Ding«, sagt er. »Ich würde sie eine Weile behalten. Mach sie ein bisschen mürbe, und sie tun alles, was du willst.«
Ich habe plötzlich ein Kratzen im Hals. »Ist das so?«
»Jaa.« Mit einem schmutzigen Fingernagel schnipst er gegen den Flyer. Schmerz durchfährt meinen Oberschenkel.
Ich kann nicht verbergen, wie genervt ich bin. »Warum sind Sie hier? Was wollen Sie eigentlich?«
Mein Zorn scheint ihm zu gefallen. Er lacht heiser. »Ich erweise der Allgemeinheit einen Dienst. Ich bin hier, um aus erster Hand zu berichten. Ich bin hier, um den Leuten in New Orleans
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