Toedlicher Sumpf
zu erzählen, wie es ist, unter dem Registrierungsgesetz zu leben.«
»Nur, dass Sie außerhalb dieses Gesetzes leben.«
Wieder grinst er spöttisch. »Das stimmt, Süße. Das stimmt genau. Ich bin ein Outlaw und bleibe einer. Die Bullen halten sich immer für so schlau. Anwälte, Richter. Die ganzen Anzugträger mit ihren College-Abschlüssen ...«
Er redet weiter und weiter, und plötzlich kapiere ich. Er ist nicht hier, weil er mir helfen will, die psychischen Auswirkungen des Gesetzes zur Registrierung von Sexualstraftätern richtig zu erfassen; nicht, weil er die Leserschaft aufklären will. Über Amber Waybridge weiß er auch nichts, gar nichts. Er ist gekommen, um anzugeben. Es genügt ihm nicht, dass er Gerichten und Polizei durch die Lappen gegangen ist, dass er sich als urbaner Überlebenskünstler durchschlägt. Er will, dass alle wissen, wie geschickt er das System ausgetrickst hat.
Vielleicht bin ich als Reporterin noch Anfängerin, aber ich habe in der Journalistenschule von Typen wie ihm gehört: Narzissten, die ein Publikum suchen. Er wünscht sich, dass tout New Orleans dasitzt und von seinen großartigen Leistungen liest – die darin bestehen, dass er wehrlose Frauen getäuscht und verletzt hat. Er will sich mit seinen Taten brüsten und sehen, wie die Leser vor Angst erschauern. Wie ein Brandstifter, der einen Ständer kriegt, wenn er sich unter die Schaulustigen mischt und zusieht, wie die Flammen lodern.
Mich spannt keiner vor seinen Karren.
»Okay. Vielen Dank für das Gespräch«, schneide ich ihm das Wort ab und stehe auf. Jetzt ist es an ihm, verblüfft dreinzuschauen. Umständlich schalte ich das Diktiergerät aus und verstaue es in der Handtasche. »Gibt es eine Möglichkeit, wie ich Sie erreichen kann? Ich meine, falls ich an eine Fortsetzung denken sollte, Mr. ...?«
Ich zücke mein Handy, tue so, als wollte ich eine Nummer einspeichern, und sehe ihn erwartungsvoll an.
Er runzelt die Stirn. »Mr. Niemand. Nein, Sie kommen nicht an mich ran.« Als er sich aufrichtet, mache ich schnell und geräuschlos ein Foto von seinem Gesicht.
»Dann verabreden wir einfach einen weiteren Termin«, sage ich. »Für den Fall, dass ich noch Fragen habe.« Ich gehe die Treppe hinunter bis zum Fußweg. »Nächste Woche vielleicht?«
Er lacht. »Wie, und da warten dann die Cops auf mich?«
»Na dann – war’s das wohl«, erwidere ich und weise auf die Straße.
Er bleibt auf der Treppe stehen, rührt sich nicht vom Fleck.
»Ich war ja«, sagt er lässig, »noch nicht mal wegen Vergewaltigung im Bau. Diese Klagen haben sie fallen lassen.« Er starrt in die Dunkelheit, als sei dort sein polizeiliches Führungszeugnis zu sehen. »Formfehler.«
Ich fröstele. »Warum haben Sie denn dann gesessen?«
»Schwerer sexueller Übergriff auf Minderjährige. In drei Fällen.« Er wendet mir das graue, hagere Gesicht zu, und ich nehme einen neuen Ausdruck darin war. »Der Psycho-Typ meinte, mein Profil ist ungewöhnlich. Ich mag sie in jedemAlter.« Jetzt starrt er auf mein Dekolleté, das, wie ich weiß, immer noch glänzt vor Schweiß. Als sein Blick meinem begegnet, macht er eine Geste, als wollte er zuschnappen; beißt mit einem Klacken die Zähne zusammen.
Es wirkt nicht so bedrohlich, wie er es gern hätte. Im Schein der Außenlaterne sehe ich, dass seine Zähne klein sind und fleckig und dass er Lücken hat – das Gebiss eines alternden Mannes ohne Krankenversicherung –, und bei der Vorstellung, dass er mich beißen könnte, denke ich allenfalls an ansteckende Krankheiten.
Mit einem Seufzen sage ich: »Okay, Freundchen, du musst jetzt gehen.«
»Finde ich nicht.« Und statt die Treppe herunterzukommen, geht er mit lautlosen Schritten weiter nach oben, auf meine Wohnungstür zu. »Es gibt noch mehr, das ich dir erzählen könnte. Ganz unter uns. Privat sozusagen.« Hager und geisterhaft steht er dort oben. Die sehnigen Unterarme sind übersät von vernarbten Einstichen. »Ich könnte dir alles erzählen, Süße. Mit meinem Werkzeug komme ich überall rein, zu jeder Zeit.«
»Ich bin nicht deine Süße, Arschloch«, erwidere ich, »und ich brauche keine Demonstration.« Meine freie Hand gleitet in die Tasche und umschließt die Beretta. Ich schaue mich um. Kein Mensch ist mehr unterwegs, Restaurants und Läden haben geschlossen. Zwischen mir und meiner Wohnungstür steht ein Vergewaltiger. »Du gehst jetzt, oder ich rufe die Polizei.«
»Ruf sie doch.« Wieder lacht er heiser. »Es haben schon
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