Toedlicher Sumpf
Typ, der immer Fliege trug – außer sich vor Begeisterung darüber, wie klug und ehrlich die erste Autobiografie der westlichen Kultur angeblich daherkommt. Ich dagegen bin fast rasend geworden über Augustinus, wie er die Hände ringt und nach Gott strebt, angesichts seiner so genannten Reue, wo er es noch nicht einmal fertigbringt, den Namen jenes einfachen nordafrikanischen Mädchens zu nennen, das seine Geliebte war, des Mädchens, das er abserviert, als seine Mutter erklärt, dass diese Lebensgefährtin – Mutter seines Sohnes – im Hinblick auf seine kirchlichen Ambitionen unpassend sei. Da schickt Augustinus die, die er liebt, Fleisch von seinem Fleisch, zurück nach Afrika und behält den kleinen Jungen; und das kann er, denn die namenlose verstoßene Geliebte hat weder Rechte noch Einkommen.
Bekenntnisse, selten so gelacht! Der Text hat eher Ähnlichkeit mit den Memoiren, die Politiker für die Öffentlichkeit abfassen, oder dem, was Bandenchefs aus dem Gefängnis verlauten lassen: Ich war verloren, aber der Herr hat mich gefunden. Augustinus präsentiert sich der Nachwelt als Mitbegründer der Kirche.
Seine Mutter hat eine passende Frau für ihn aufgetrieben: aus angesehener Familie, jung, unberührt, reich, europäischer Abstammung, ganz besoffen von ihrer peinlich bewahrten Jungfräulichkeitund fest entschlossen, sich als Unschuldslamm zum Altar führen zu lassen. Eine richtige dumme 4.-Jahrhundert-Schnepfe – dachte ich, bis mir aufging, dass die Kindfrau gerade mal elf war. Pobrecita . Jünger als Marisol und schon an einen erwachsenen Mann verschachert. Heute wäre Augustinus nur ein Krimineller mehr.
Trotzdem hängt hier sein Bildnis zur allgemeinen Verehrung, während ich mit einer Knarre in der Handtasche in meiner Bank sitze.
Wir stellen uns in die Reihe, um die Kommunion zu empfangen, meine Mutter mit verzücktem Gesicht. Ich greife das Stück Oblate mit zwei Fingern – dieses brave Ich-mache-für-den-Priester-den-Mund-auf kommt für mich nicht in Frage – und lege es mir auf die Zunge, wo es sich in faden Matsch verwandelt, den ich nur mit Mühe herunterbekomme.
Die Beichte macht mir dagegen keine Schwierigkeiten. Der Rückblick auf eine typische Woche eröffnet mir sofort eine reiche Auswahl an Sünden: Zorn, Faulheit, Gier, Völlerei. Unreine Gedanken im dreckigen Dutzend. Das dunkle, nur schemenhaft wahrnehmbare Gesicht legt meine Buße fest, und ich verlasse den Beichtstuhl, um sie sogleich zu tun.
Die Fußball-Abenteuer beichte ich allerdings nie. Meine Begierde und wie ich sie befriedige – das geht die Kirche nichts an.
Es gibt Dinge, die kannst du alten, dem Zölibat verpflichteten Männern erzählen, und es gibt Dinge, da geht das einfach nicht.
Arm in Arm schlendern meine Mutter und ich nach der Messe durch ruhige, von blühenden Bäumen gesäumte Straßen. Ihre dunklen Augen glänzen; ein friedlicher, heiterer Ausdruck liegt auf ihrem Gesicht. Ich selbst wünsche mir nichts sehnlicher als ein Aspirin.
Sobald wir bei ihr zu Hause sind, vollziehe ich mein ungeliebtes wöchentliches Ritual: Ich räume ihren Kühlschrank auf.Obwohl ich schon seit Jahren nicht mehr bei ihr wohne, lernt sie es nicht, für nur eine Person zu kochen. Abend für Abend stellt sie eine Plastikdose mit Resten in den Kühlschrank. Sie versucht schon, alles zu verbrauchen, aber es geraten immer wieder Dosen zu weit nach hinten. Mein Job ist es dann, jede einzelne zu öffnen, am Inhalt zu schnuppern und Makkaroni oder picadillo, kubanische Hackfleischsauce, auf weiß-pelzigen Belag hin zu kontrollieren.
Während ich mit angewiderter Miene vor dem offenen Kühlschrank hocke, sitzt Mamá bei einer Tasse frischem café con leche am Küchentisch.
»Zieh deinen Rock runter, Nola!«
»Im Gemüsefach ist keiner, der was sehen könnte.«
Sie lacht. Würde ich jetzt auch gern, aber mir steigt der Geruch von altem Blumenkohl in die Nase. Ich finde ihn und packe ihn zu ein paar schlappen Selleriestangen und einer Dose mit verschimmelten schwarzen Bohnen auf den Tresen.
» Mi’ja , du bist so gut zu mir!«
»Nicht gut genug, Mamá, nicht gut genug.« Es ist unser üblicher Wechselgesang, der Refrain des Lebens, das wir jetzt führen.
Als sie ins Bad geht, halte ich – in der Hoffnung, dass eine homöopathische Dosis den Kater besänftigt – im Küchenschrank nach ihrer Whiskeyflasche Ausschau, doch ich finde sie nicht. Sie hat sie wohl neben dem Bett stehen.
»Was suchst du, mi’ja ?« Da kommt sie
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