Toedlicher Sumpf
Sie ein Problem mit Gastfreundschaft?« In seinem Lachen schwingt Aggressivität mit. Es ist der Tonfall des ehemaligen stellvertretenden Direktors, des harten Typen, der die Drecksarbeit erledigt, damit der Direktor sich nicht die Hände schmutzig machen muss. Der Ton eines Mannes, der genau daran Spaß hat.
»Ich habe keinen Durst«, sage ich, doch er ist schon in der Küche verschwunden. Ich bleibe allein zurück und merke, wie durstig ich in Wahrheit bin. Meine Hände, die auf der Akte liegen, sind flattrig; die Fingerkuppen hinterlassen kleine feuchte Abdrücke auf der Pappe. Mein Mund fühlt sich an wie mit Watte gefüllt, aber ich will keinen Rum, geschweige denn eins von Blake Lanusses Bonbons. Was ich will, ist kaltes Wasser in einem sauberen Glas, nur bringe ich es nicht fertig, darum zu bitten.
Es dauert ewig. Irgendwann stehe ich auf und gehe – gierig nach Tageslicht – zu dem einen Fenster, bei dem der Rollladen nicht heruntergelassen ist. Aus der Küche klingen das Schmatzen der Kühlschranktür und das Klirren von Eiswürfeln herüber.
Von dem Fenster aus kann ich das von Mauern umschlossene Gelände des gegenüberliegenden Klosters perfekt einsehen. Ich erkenne die einzelnen Pflastersteine des Weges, die geschlossenen grauen Jalousien an den Fenstern, die grünen Wedel der Palmen. Die goldenen Lettern über dem Eingang zur Kapelle sind deutlich zu sehen: VIRGINI DEIPARAE DICATUM . Es ist Mittag, also sitzen die Mädchen wohl gerade beim Essen. Aber morgens um acht, nachmittags um dreiund während sämtlicher Pausen kann man die Kinder von hier aus ungehindert beobachten. Mädchen, die in ihren Röcken herumlaufen, springen, sich hinhocken, um mit Murmeln zu spielen oder was reiche Kinder sonst spielen.
Mein Blick fällt auf die breite schwarze Fensterbank. Da liegt ein teures Fernglas. Neben der Hülle.
Nach allem, was ich gelesen habe, fantasieren Sexualstraftäter ihre Taten zunächst. Je häufiger sie das tun, desto weniger haben sie sich unter Kontrolle.
»He!«, sagt Blake Lanusse, und ich zucke zusammen. Als ich mich umdrehe, steht er, in der einen Hand eine Flasche Rum, in der anderen zwei Gläser, in der offenen Küchentür. »Was machen Sie da?«
Ich setze mein strahlendstes Lächeln auf, räuspere mich und sage: »Ihre Aussicht bewundern. Und Ihr Zimmer, wie es eingerichtet ist! Ganz außergewöhnlich.« Er mustert mich skeptisch. Beim zweiten Anlauf gebe ich mir Mühe, aufgekratzt zu klingen wie die typische Tulane-Studentin: »Es hat so viel Atmosphäre!«
Er kommt einen Schritt auf mich zu. Als mir bewusst wird, wie groß er ist, wie allein ich mit ihm bin, hier, auf seinem Terrain, steigt wilde Angst in mir hoch. Mein Telefon liegt in der Handtasche am anderen Ende des Raums; es nützt mir nichts. Lanusses massiger Körper versperrt mir den Weg zur Tür. Seine fahlen Augen glitzern.
Vor Verzweiflung spiele ich an meinem obersten Blusenknopf herum. »Es hat so was Einladendes«, füge ich hinzu und streiche mit der anderen Hand über die Lehne eines der roten Samtsofas. »Charmantes.«
»Ach ja?« Nach und nach schwindet die Feindseligkeit aus seinem Blick.
»Ja. Wissen Sie was? Schenken Sie mir doch einen Schluck Rum ein.«
Er nickt und geht zum Tisch.
Aus dem Treppenhaus dringt ein dumpfes Geräusch herein,wohl von unten, vom Fuß der Treppe. Wir erstarren beide, lauschen, wie jemand Stufe um Stufe näher kommt, wobei jeder Schritt von einem dumpfen Schlag begleitet wird. Am Ende hört man Schlüssel klirren.
»Ach du Scheiße«, murmelt Lanusse.
Schon geht die Tür auf, und eine Frau tritt ein, lässt Handtasche und Rollkoffer fallen und stürmt mit ausgebreiteten Armen auf Lanusse zu. Sie ist platinblond, um die vierzig. Ihre Klamotten sitzen stramm, und die geschwollenen Knöchel schreien nach einer Entwässerungskur. Die Lippen glänzen grell aprikotfarben.
»Lily, Süße!«, ruft er in seinem anderen Ton, dem jovialen. »Du wolltest doch erst ...«
Als Lily mich sieht, sinkt all ihre Freude in sich zusammen.
»Wer ist das, Blake?«, fragt sie in breitestem New-Orleans-Ton, wobei nur ihr Mund lächelt, nicht aber die Augen.
»Sie kommt von der Times-Picayune , chère «, antwortet er. Ich gehe hinüber zum Tisch, hole meinen Presseausweis aus der Handtasche und zeige ihn ihr. Immer noch misstrauisch, sieht sie ihn sich genau an und nickt schließlich. »Die von der Zeitung wollen wissen, was ich so alles gemacht habe, um die Quarter Association zu
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