Toedlicher Sumpf
Chefin.
Kaum betrete ich am Morgen unser Großraumbüro, kommt Claire mir mit wehender goldener Mähne entgegengedonnert wie Boudicca, die britannische Heerführerin.
»Was soll das sein, bitteschön?« Sie wirft ein Bündel Blätter auf meinen Schreibtisch.
Ich sehe mir die Papiere an. Meine Autorenzeile: Nola Céspedes. Meine Überschrift: AUF DER SUCHE NACH VERGANGENER GLORIE – DIE PLANTAGEN.
Ich lasse eine kleine Kaugummiblase in meinem Mund zerplatzen. »Ist das eine Quizfrage?«
»Dieser Text ist lahm! Fade, todlangweilig.«
»Du bist nicht zufrieden.«
»Ja, verdammt. Ich bin nicht zufrieden.« Sie spricht mitdröhnender Stimme. »Ich habe die Story dir gegeben, weil du schreiben kannst, weil du in der Lage bist, innerhalb kurzer Zeit gute Arbeit abzuliefern. Hätte ich Müll gewollt, hätte ich irgendwen gefragt.«
Um uns her wird es still. Super, Claire. So stärkt man das Team.
»Was daran ist verkehrt?«
»Alles.« Sie schaut auf die Uhr. »Und ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. In zwei Minuten muss ich los zur Redaktionskonferenz.«
»Kurz gesagt?«
»Kurz gesagt: Es ist langweilig. Es passiert nichts, es steht nichts Wesentliches drin. Und die Schreibe ist schlecht.« Sie blättert weiter zu Seite zwei und zeigt angewidert auf den Text. »Sieh dir das an! Nominalstil. Und diese platten Beschreibungen!«
Sie hat recht. Die Schreibe taugt nichts. Weil der Auftrag nichts taugt.
»Das liest sich wie ein Fünftklässler-Aufsatz. Es macht mich ...«, wieder zeigt sie auf den Text, »kein bisschen neugierig. Ich krieg keine Lust, mir eine Plantage anzuschauen.«
»Ach so, ist das jetzt meine Aufgabe?« Ich mache mich gerade. »Werbetexte für Moss Manors verfassen?«
»Wenn unser Ressort dem Tourismus auf die Sprünge hilft, ist das eine gute Sache, natürlich. Das weißt du, Nola. Gerade jetzt.« Sie meint: nach Katrina. »Das ist unser Job.« Sie strafft die Schultern. »Unser Auftrag.«
Verschon mich mit Melodramatik. »Gut. Ich überarbeite den Text.«
»Nein. Du machst ihn komplett neu. Hier steht nichts, das es wert wäre, gerettet zu werden.«
»Ja, okay, wie du ...«
»Bis heute Abend.«
»Heute Abend? Claire, ich habe Interviewtermine verabredet ...«
»Und wenn du Lupus hättest«, faucht sie mich an. »Das Stück soll am Freitag erscheinen, also brauche ich es bis heute Abend um acht. Sonst muss ich Bailey anrufen.«
»Bailey? Claire, also wirklich ...«
»Ach ja, stimmt ja.« Ihr Mund verzieht sich zu einem sarkastischen Lächeln. »Ihr seid ja neuerdings beste Freunde.«
Das ist es also. Jetzt ist es heraus. Deshalb macht sie mich rund.
»Pass auf, es ist mir egal. Wenn ich bis acht keine neue Fassung habe, erzähle ich ihm, wie es in Wahrheit läuft mit dir. Dann werden wir ja sehen, ob er noch große Reportagen von dir will.«
»Ja, Ma’am.« Das sage ich so, dass es gerade eben durchgeht und nicht spöttisch klingt; eine Spur zu brav, als dass sie mich deswegen drankriegen könnte. Miststück. Sie sieht mich gallig an.
»Gut«, sagt sie schließlich, wendet sich ab und macht sich auf den Weg zur Konferenz. Der Stoff ihrer Bluse klebt an einer kleinen Fettwulst oberhalb des BHs. Figurformende Wäsche, Claire. Wird langsam Zeit.
Okay, verdammt. Scheiß drauf. Wenn sie was Besonderes will, kriegt sie es. Ich schreib ihr einen Text, den sie nicht vergessen wird.
Aber erst mal muss ich mich stärken. Ich fahre mit dem Fahrstuhl ein Stockwerk nach unten, um in der Cafeteria Kaffee zu tanken. Da gibt es auch feste Nahrung: Bagel, Obstkörbchen mit Äpfeln und Bananen, eine langweilige Salatbar und als warme Gerichte Lasagne oder fade Étouffée. Aber das Zeug essen vor allem die Leute aus der unteren Etage, die dicken Frauen von der Personalabteilung, die Kollegin aus der Buchhaltung, die Leute aus der Anzeigenabteilung und die Blaumann-Typen, die die Druckmaschinen bedienen. Wir oben im zweiten Stock leben von Diet Coke und Kaffee. Headlines und Deadlines.
Die erste Verabredung habe ich um die Mittagszeit. Bis dahinmuss ich etwas zustande bringen. Also balanciere ich drei große Becher Kaffee in den Fahrstuhl und an meinen Schreibtisch. Gut. Ich werde das tun, was sie uns an der Tulane beigebracht haben: loslegen. Auf den Punkt kommen. Redigieren kann ich immer noch.
Auf den Punkt. Meine Finger fliegen über die Tasten.
Der Vormittag verstreicht, Stunde um Stunde, ohne dass ich um mich her irgendetwas mitkriege. Ich schreibe, lösche, schreibe neu. Das Ressort Leben
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