Toedlicher Sumpf
der Hals sind gerötet. Hey, Claire, ist das eine Hitzewallung, oder freust du dich so, mich zu sehen?
Bailey liest die Überschrift vor: »›Fünfunddreißig Millionen: um welchen Preis?‹« Dann räuspert er sich. »›Es ist eine bereinigte, romantisierende Version der Sklaverei, die der Öffentlichkeit hier präsentiert wird. Dadurch fließen alljährlich geschätzte fünfunddreißig Millionen Dollar Tourismus-Einkünfte in die klammen Nach-Katrina-Kassen des Staates Louisiana. Um den vergangenheitssüchtigen Touristen zu bieten, was sie sich wünschen, betreibt die Plantagenindustrie Geschichtsklitterung, verschweigt Leiden und Leistung der schwarzen Arbeiter und hintergeht damit den moralischen und intellektuellen Anspruch aller Amerikaner. Auf dieses Erbekann Louisiana nicht stolz sein.« Bailey lässt die Blätter sinken und seufzt. »Was soll ich damit anfangen, Nola?«
Ich zucke die Achseln. »Druck es. Danken kannst du mir später.«
»Du hast gewusst, dass das nichts Investigatives werden sollte.« Er schüttelt den Kopf. »Claire hat dich da nicht hingeschickt, damit du Dreck aufwühlst.«
»Aber Bailey ...«
»Was ist los mit dir?« Er schließt die Augen und massiert sich die Nasenwurzel. »Du bist ein heller Kopf, du schreibst gut. Du hast bei diesem Stück eine zweite Chance gekriegt und vorsätzlich nicht genutzt. Das sind zwei Schlappen hintereinander.« Er macht in Richtung Claire eine Geste, die so viel sagt wie: »Mach mit ihr, was du willst«, wendet sich ab und geht.
Claire ergreift sofort das Wort. »Ich gebe Marci deine erste Fassung als Vorlage.« Marci, die nicht gut genug war, um die Story gleich selbst zu bekommen. »Sie soll sie aufpolieren, wie sie es für richtig hält. Wir drucken sie dann unter ihrem Namen.«
»Gut«, erwidere ich. »Solchen Mist will ich sowieso nicht unter meinem Namen lesen.«
Das hat Bailey noch gehört. Er fährt herum, kommt auf mich zu und richtet einen kerzengeraden Zeigefinger auf mich. »Wenn du dich nicht zusammenreißt, liest du unter deinem Namen gar nichts mehr.« Er steht dicht vor mir und starrt mich wütend an. Irgendetwas an seiner aggressiven Pose katapultiert mich direkt zurück in die Desire Projects. Mir wird heiß, ich bin von Kopf bis Fuß angespannt.
»Ist das eine Drohung?« Ich zittere.
Er verzieht keine Miene. »Fühlt es sich so an?«
Starr stehen wir da und fixieren einander. Nur sein Kiefer mahlt.
»Zwei Schlappen hintereinander«, sagt er. »Zwei Schlappen.«
Als ich vom Parkplatz des Times-Picayune -Gebäudes rolle, zittere ich immer noch. Ich bin sauer. Scheißplantagen.
Es hat aufgehört zu regnen. Ich mache mich auf den Weg zu weiteren Eltern, jetzt allerdings zu welchen am anderen Ende der sozialen Leiter. Ich fahre in den Neunten Bezirk. Im Sekretariat einer Grundschule des Oberen Neunten Bezirks habe ich die Namen von zehn Leuten bekommen, die als vorbildliche Eltern gelten. Die meisten haben sofort aufgelegt oder Nein gesagt, drei Mütter haben sich bereit erklärt, mit mir zu reden.
Hurrikan Katrina mag dafür gesorgt haben, dass der Neunte Bezirk landesweit ein Begriff wurde, zumindest kurzfristig, aber dieser Stadtteil war schon lange vor Katrina verwüstet. Verfallende Häuser, in Fenstern installierte Klimaanlagen, die unter der Hitze ächzten und grünlichen Schleim absonderten, der die Wände hinunter troff. Hier haben immer Familien gelebt. Die Leute haben ihre Kinder geliebt und großgezogen. Sie haben getrunken, Drogen genommen, einander verprügelt. Sind zu früh gestorben, an Krankheiten, die eine ordentliche medizinische Versorgung hätte heilen können.
Der Untere Neunte Bezirk – die Wüstenei, die im Fernsehen gezeigt wird – liegt nach wie vor in der Hitze brach, aber der Obere hat von dem Sturm viel weniger abbekommen. Er steht mehr oder weniger unverändert. Es ist meine alte Gegend; hier hat meine Mutter mich mit kubanischer Küche aufgezogen, mit Hähnchen von »Popeye’s« und den kleinen glasierten Kuchen von »Hubig’s«, neunundneunzig Cent das Stück, in allen Geschmacksrichtungen, die Kinder lieben: Kokosnuss, Zitrone, Banane und Schokolade. Seit 2003, als die Desire Projects abgerissen wurden, bin ich nicht mehr hier gewesen. Fünf Jahre lang.
Die Sonne brennt, saugt die letzte Regennässe in die ohnehin feuchte Luft. Auf dem Weg die Franklin Avenue hinauf verstehe ich allmählich, was Mittelschichtler meinen, wenn sie von heruntergekommenen Stadtteilen reden. Eine mit
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