Toedlicher Sumpf
unterstützen.« Er schaut mich an und reißt kurz die Augen auf. Ein stummes Flehen.
Sie hat keine Ahnung, weshalb ich in Wahrheit hier bin. Was bedeutet, dass sie nicht ahnt, was er getan hat, wer er ist und wovor sie auf der Hut sein muss.
»Ach so, ja.« Sie umklammert sein Handgelenk und streichelt mit der anderen Hand seinen Arm; eine halb stolze, halb besitzergreifende Geste. »Blake leistet da einen großen Beitrag. Er bemüht sich sehr um das Viertel und tut viel zu seiner Erhaltung.«
Lanusse beobachtet mich stumm, wartet ab, ob ich mitspielen werde.
Ich will dieses Interview. Ich will ihn noch einmal allein hier in diesem Raum.
»Ja, Ma’am«, sage ich und räuspere mich erneut. »Seine Aktivitäten sind uns in jedem Fall einen Artikel wert.«
Lanusse entspannt sich sichtlich. »Ich denke, wir können das ein andermal zu Ende ...«
»Nein«, sagt Lily und wedelt eifrig mit der Hand. »Macht nur weiter, ihr zwei. Ihr werdet gar nicht merken, dass ich da bin. Ich muss auspacken und ...«
»Unsinn, Baby! Du warst wochenlang weg! Die Arbeit kann warten.« Er wendet sich mir zu. »Haben Sie eine Nummer, unter der ich Sie erreichen kann?«
»Natürlich.« Ich nicke und wühle, ohne nachzudenken, in meiner Handtasche nach den Visitenkarten. »Ich bin viel unterwegs, also nicht im Büro, deshalb erreichen Sie mich am besten hier.«
»Gut.« Er greift nach der Karte, und einen Moment lang scheint der glänzende Dielenboden unter mir Wellen zu schlagen. Ich habe einem verurteilten Kinderschänder meine Handynummer gegeben, die Nummer des Telefons, das je nach Tageszeit in meiner Handtasche oder auf meinem Nachttisch liegt. Oder auf meinem Körper.
Er nickt. »Gut. Ich hab nämlich noch einiges zu sagen.«
»Keine Sorge«, erwidere ich, während ich meine Sachen einsammele. »Wir sind noch nicht fertig.«
Die Tür steht noch offen. Ich umrunde Lilys Handtasche und Rollkoffer. Meine Absätze klappern die enge, steile Stiege hinunter.
Draußen in meinem brutheißen Pontiac umklammere ich das Lenkrad mit beiden Händen und lehne die Stirn dagegen.
Am Spätnachmittag sitze ich, nachdem ich noch zwei Mütter und einen Vater im Garden District befragt habe, mit dem Laptop auf meinem Bett, schreibe die Interviews ab und markiere die Stellen, die sich als Zitate eignen. Um sechs schwebt das sanfte Glockenläuten von Our Lady of the Rosary durch den Abend.
Als ich fertig bin, ist es sieben. Ich mache mir in der Mikrowelle eine Portion Tiefkühl-Masala warm, Paneer-Makhani, und setze mich zum Essen auf den Balkon. Uri arbeitet an der »Vic«-Bar. Roux stößt mit der Schnauze die Fliegengittertür auf, kommt zu mir herausgetapst und lässt sich zu meinen Füßen nieder. Ich kraule ihm mit den nackten Zehen den Rücken. Hin und wieder gibt er einen tiefen, wohligen Hundeseufzer von sich.
Abendlicher Dunst hängt über der Stadt. Ich schwinge meine braunen Knöchel auf das Balkongeländer, balanciere den kleinen Teller auf dem Schoß und beobachte die Leute, die unten vorbeigehen, in Restaurants verschwinden oder aus Läden kommen. Ganz in Ruhe gehe ich die Ereignisse des Tages noch einmal durch, und in meinem Kopf schreiben sich Textzeilen wie von selbst.
Als ich zurück in die Wohnung gehe, ist es 19.58 Uhr – in zwei Minuten läuft Claires Deadline ab. Ich beuge mich über den Laptop, öffne mein Mailprogramm und dann die im Entwürfe -Ordner liegende Nachricht mit der angehängten Plantagen-Story. Irgendwo sitzt Claire jetzt und starrt auf ihren Posteingang. Wünscht sich glühend, dass ich gefeuert werde. Neunzehn Uhr neunundfünfzig. Ich klicke auf Senden .
12
Am Donnerstagmorgen fahre ich durch heftiges Unwetter zur Arbeit. Riesige Regentropfen rinnen über die Windschutzscheibe, und mein Pontiac kommt nur schwerfällig voran. Im Times-Picayune -Gebäude ist es ruhig. Die Fahrstuhlfahrt nach oben dauert eine gefühlte Ewigkeit.
Als ich unseren Raum betrete, steht Claire neben meinem Schreibtisch und redet wild gestikulierend auf Bailey ein. Ich mache ein paar vorsichtige Schritte rückwärts in der Hoffnung, ungesehen zu entkommen.
»Nola!« Das ist Bailey. Laut. Kategorisch. »Komm her!«
Der Weg zwischen den Schreibtischen hindurch scheint endlos, und die anderen starren mich an, als sei ich auf dem Weg zur Guillotine.
Als ich schließlich vor ihm stehe, hält Bailey einen ausgedruckten Text hoch. Claire hat die Hände in die Hüften gestützt und reckt siegesgewiss das Kinn. Ihr Gesicht und
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