Toedlicher Sumpf
ist noch nicht da. Ich gehe an den Kühlschrank und schenke mir aus der Wodkaflasche, die ich dort liegen habe, einen Fingerbreit ein. Roux kommt hereingetapst, in der Hoffnung auf eine Krauleinheit.
In den Fernsehnachrichten wird ausgiebig über den Tod von Amber Waybridge berichtet. Die Fernbedienung in der Hand, stehe ich da und kann das Geschehen auch ohne Ton mühelos verfolgen. Lange Zeit füllt das schmerzlich lebendig wirkende Foto von Amber, das inzwischen wohl jeder kennt, den Bildschirm. Dann verspricht Oberbürgermeister Nagin eine Verfolgungsjagd, wie New Orleans sie noch nicht erlebt hat, und neben ihm steht, die Entschlossenheit in Person, mit mahlendem Kiefer der Polizeipräsident und nickt. Als Nächstes redet der aufgebrachte, trauernde Liebhaber von Amber, der Kunstprofessor, auf die Reporter ein. Er hat den Arm um seine ältere Tochter gelegt, eine dunklere, größere, ernstere Ausgabe der Kleinen. Das Mädchen blickt mit weit offenen Augen ins Leere; es wirkt benommen, starr vor Entsetzen, so als habe in seinem Innern etwas einen Knacks bekommen, etwas, das zart ist – wie ein dünner Zweig, ein Stiel aus Glas –, aber wichtig. Ich schließe die Augen und mache den Fernseher aus.
Solines Joint lege ich in die Nachttischschublade. Gras, das von Soline kommt, ist gut, so viel steht fest. Rob hat jede Menge Connections.
Dann stütze ich beide Ellbogen auf die Kommode und schaue in den Spiegel. Meine Augen sehen seltsam aus: leer, hohl.
»Hi«, sage ich, »ich bin’s, Nola.« Die Augen starren mich an. »Du erinnerst dich?«
Ich sollte es lassen. Es ist dumm. Es ist spät, und ich bin betrunken. Aber ich habe das Handy schon in der Hand, strecke die andere nach dem zerknüllten Zettel aus, der hinter einer Parfümflasche liegt, hole ihn hervor und streiche ihn glatt. Bento . Ich sehe seine glühenden dunklen Augen vor mir, wie sie mich angeschaut haben, als er sich in mir bewegt hat, die Hände auf meinen Hüften. Sein Telefon klingelt.
»Wer ist da? Um diese Zeit.« Ich hatte vergessen, wie anziehend seine Stimme ist, Oktaven tiefer als meine, und wie schön sein Akzent. Sehr männlich.
»Hier ist Nola.« Nervös trommele ich mit den Fingern. »Die Frau, die du am ...«
»Ich weiß, wer du bist.« Er lächelt, das höre ich. »Nola.«
»Hoffentlich hab ich dich nicht geweckt.«
»Ich bin wach.«
» Mira . Ich muss zu einer Hochzeit. Von einer Freundin.«
»Glückwunsch an deine Freundin. Felicidades .« Es entsteht eine Pause, die sich bis ins dunkle Universum dehnt. Er macht es mir nicht leicht.
»Ich brauche einen Mann, der mit mir da hingeht.«
»Und du rufst mich an.«
Ich seufze. »Sieht so aus.«
»Um mich einzuladen.«
»Offenbar.«
»Das ist eine große Ehre.«
»Ja, schon gut. Machst du’s?«
»Du möchtest, dass ich als dein Freund mit dir zur Hochzeit von einer Freundin von dir gehe?«
»Das ist die Kernaussage.«
» Qué? «
»Ja, ich möchte, dass du als mein Freund mit dorthin kommst. Bitte.«
»Und wann ist der Freudentag?«
»Samstag, der neunzehnte, im Quarter. Der Gottesdienst beginnt um achtzehn Uhr, der Empfang im ›Omni‹ um zwanzigUhr. Spätestens gegen Mitternacht dürftest du also da wieder raus sein.«
Der Termin passt ihm.
»Kein Sex«, verkünde ich. Wieder tritt eine Pause ein. »Ein zweites Mal gibt’s bei mir nicht.«
»Du bist eine interessante junge Frau, Nola.«
»Das hab ich schon häufiger zu hören gekriegt.« Ich informiere ihn über die Speisenfolge: Crawfish-Étouffée, Hummer, Filet Mignon. Zumindest kriegt er ein anständiges Essen, und von dem guten französischen Wein kann er schlucken, so viel er will. »Außerdem werden viele hübsche Frauen da sein«, sage ich, weil ich die Sache endlich festklopfen möchte. »Ich hab nichts dagegen, wenn du Telefonnummern einsammelst, aber bring mich dort nicht in Verlegenheit, okay?«
»In Verlegenheit?«
»Flirten kannst du, aber du darfst mich nicht links liegen lassen. Und auf keinen Fall darfst du mit einer anderen dort weggehen.« Die Mädels würden noch ewig denken, sie müssten mich trösten, und ich müsste so tun, als machte es mir etwas aus.
Er lacht. »Ich habe nicht die Absicht zu flirten, Nola.« Wenn er doch nur aufhören würde, andauernd meinen Namen zu sagen! »Wann soll ich dich abholen?«
»Mich abholen? Oh Gott, nein.« So weit habe ich gar nicht gedacht – dass er hierherkommen und bei mir klingeln könnte; dass es auch nur entfernt wie eine echte
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