Toedlicher Sumpf
Liebe! Das Haus ist schon seit Generationen im Besitz der Andersons.«
»Was für ein erlesenes Erbe«, flöte ich. »Und Sie, Mr. Anderson, fanden Sie es angenehm, hierher zurückzukehren?«
Er hebt den Blick. Öffnet den Mund, setzt zum Sprechen an.
»Selbstverständlich fand er es angenehm«, kommt seine Mutter ihm zuvor. »Warum sollte er sich hier nicht wohlfühlen? Dies ist sein Zuhause. Es ist sein angestammtes Recht, hier zu sein.« Sie lächelt, doch in ihrem Blick liegt Angriffslust, und ihre Haltung ist militärisch stramm. Als hätte Audubon persönlich sie ausgestopft. »George wird nicht von hier vertrieben, nur weil er einen Fehler gemacht hat.«
Dem Verb gemacht hänge ich noch eine Weile nach. Mein überhitztes Hirn nimmt es wörtlich. Ich stelle mir George Anderson vor, wie er etwas macht, mit seinen Händen etwas formt, aus Ton zum Beispiel, so wie Gott Adam und Eva gemacht hat. Ich spüre, dass ich immer noch dieses starre Lächeln im Gesicht habe. Konzentrier dich, Nola.
»Freut mich zu hören, dass Sie sich hier wohlfühlen.« Ich drehe mich weiter zu George hin. »Es war bestimmt eine Hilfe, dass Ihre Mutter so zu Ihnen gehalten hat.«
Er nickt nur.
»Und sind Sie auch bei Ihren Nachbarn auf Verständnis gestoßen?«
»Oh ja«, zwitschert sie und drängt sich in mein Gesichtsfeld. »Auf großes Verständnis. Wir kennen diese Familien seit vielen Jahren.«
»Sie haben nicht direkt ein Freudenfest veranstaltet«, sagt George.
»Nein, mein Lieber. Natürlich nicht.« Sie streicht ihren Rock glatt. »Da hast du recht, mein Lieber, aber sie haben uns doch sehr unterstützt. Im Großen und Ganzen.«
Die Getränke treffen ein. Geräuschlos. Dahlia gleitet so unauffällig über den grauen Teppich, dass ich sie kaum wahrnehme.
Ich trinke einen Schluck von dem kalten Tee. »Was meinen Sie, Mr. Anderson, wenn Sie sagen, die Nachbarn hätten kein Freudenfest veranstaltet?«
Endlich sieht er mich an. Seine braunen Augen haben tatsächlich etwas Freundliches, Melancholisches.
»Sie sind reservierter als früher. Womit zu rechnen war. Sie lächeln und sagen guten Tag, aber mehr auch nicht. Es kommt nie zu einem Gespräch. Sie winken kurz, wenn sie auf dem Weg zu ihrem Wagen sind oder nach Hause kommen. Stehen bleibt keiner.«
»Könnte man sagen: zivil?«
»Zivil, ja. Aber nicht herzlich. Nicht mehr. Womit zu rechnen war«, wiederholt er.
»Hatten Sie, bevor das passierte, gute Freunde hier in der Nachbarschaft?« Die Floskel bevor das passierte ist für Exhäftlinge eher zu akzeptieren als bevor Sie das Kind missbraucht haben oder bevor Sie Ihre Frau erschossen haben oder bevor Sie sechzigtausend Dollar aus einer Staatsanleihe abgezweigt haben . Journalismus-Grundwissen: Niemand beschäftigt sich gern konkret mit seinem Vergehen.
»Na ja, schon. Ein paar Leute gab es.«
»Und wie haben die Sie hier wieder aufgenommen?«
»Sie waren sehr – zivil.« Das Wort scheint ihm zu gefallen. Offenbar findet er es passend und hilfreich. »Einer hat mir sogar die Hand geschüttelt.«
»Das ist ja schön. Und pflegen Sie wieder gesellschaftlichen Umgang miteinander?«
Wieder senkt er den Blick. »Nein. Eigentlich nicht.«
»Oh, das tut mir leid. Das ist sicher schwierig.«
Jetzt nickt er nur, und Mrs. Anderson sagt: »Es ist schwierig. Sehr schwierig. Manchmal ist George schon sehr einsam.«
»Stimmt das, Mr. Anderson?«
Nicken.
»Haben Sie schon mal daran gedacht, woandershin zu ziehen? Ganz neu anzufangen?«
Er blickt auf und lacht. Es hört sich traurig an. »Wozu?« In seinem Blick liegt keinerlei Hoffnung. »Egal, wo ich hinziehen würde, ich müsste mich innerhalb der ersten fünf Tage registrieren lassen, und dann hätte ich meinen Stempel weg.«
»Sicher, das stimmt. Aber es wäre trotzdem eine neue Umgebung. Vielleicht würden nur wenige Leute überhaupt davon erfahren.«
»Nein, Sie haben mich nicht verstanden. Ich wüsste doch nie, wer es weiß und wer nicht, wer hinterrücks über mich redet, wer Angst vor mir hat. Wie könnte ich mich da entspannen? Nein.« Er schüttelt energisch den Kopf. »Mit so einer Sache gibt es keinen Neuanfang.«
»Außerdem ist dies hier Georgies Zuhause ...«
»Nicht, dass ich irgendwem einen Vorwurf mache«, ergänzt er. »Die Gesetze sind durchaus sinnvoll. Sie sind im Interesse der Allgemeinheit, davon bin ich überzeugt.« Er seufzt. »Und es ist auch nicht so, dass ich weglaufe vor dem, was ich getan habe. Ich versuche nicht, mich zu
Weitere Kostenlose Bücher