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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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ich konnte zum ersten Mal überhaupt durchatmen. Ich fühlte mich endlich frei und angekommen, denn ich musste die Trauer und den Groll, die ich in mir trug, nicht länger verbergen.
    Im gepflasterten Patio des »Asian Pacific« schreit die gepflegte Atmosphäre mich förmlich an, die schmiedeeisernen Tische und Stühle, der plätschernde Springbrunnen, die mit Lichterketten geschmückten Palmen – alles nur dazu da, es den Leuten angenehm zu machen, alles gesichert und nach außen abgeschottet. Zurück im Land der Mittelklasse, wo alles hübsch ist und behütet, empfinde ich nichts als Verunsicherung.
    Vor über hundert Jahren hat Friedrich Engels beschrieben, wie die Reichen in London in ihren Droschken auf breiten, von gutgehenden Geschäften gesäumten Straßen in die Stadt fuhren. Und das seiner Meinung nach nicht zufällig, denn so konnten sie es vermeiden, von dem Elend und dem Schmutz in den Seitenstraßen auch nur Notiz zu nehmen. Als ich die Passage für mein Seminar zu Politischer Theorie las, habe ich geweint. Städte sind so strukturiert, dass es einfach ist, vor bestimmten Dingen die Augen zu verschließen.
    Neun Jahre lang habe ich versucht, meiner Mutter und mirin der Mittelschicht einen Halt zu verschaffen, und ein einziger Nachmittag macht alles zunichte. Ich hatte gedacht, dass meine wunden Punkte inzwischen von Narbengewebe überwuchert sind, dass ich weitergekommen bin. Aber als ich so allein an unserem Tisch sitze – früh wie immer – und auf meine Freundinnen warte, bin ich da nicht mehr so sicher.
    Mein Sake, Momokawa Pearl, wird in einem konisch geformten Glas serviert, das wiederum in einem Longdrinkglas mit zerstoßenem blauem Eis steht. Verrückt. Ich sauge den Kokosduft ein, nippe an der milchigen Flüssigkeit und blicke in den Nachthimmel.
    »Hallo Süße!«, ruft Calinda schon von der obersten Stufe der Holztreppe. Mir bleibt noch Zeit, ein Lächeln aufzusetzen. »Wie geht’s dir?« Ich stehe auf, und wir umarmen einander. Ihre Wärme erdet mich ein wenig. »Du, beim New Orleans Police Department haben sie das Foto überprüft, das du mir geschickt hast.« Sie sinkt auf den Stuhl mir gegenüber. »Keine Übereinstimmung.«
    »Das ich dir übers Handy geschickt habe?« Mr. Niemand. »Aber er hat gesagt, er ist von hier. Und während des Sturms untergetaucht.«
    »Tut mir leid, da war nichts. Vielleicht wollte er dich nur ein bisschen nerven. Oder er stammt von irgendwo außerhalb und ist in der Datenbank des Stadtgebiets nicht erfasst.« Sie zuckt die Achseln. »Vielleicht hat auch nur die Software das Foto nicht erkannt. Die haben so viel zu tun, dass sie wahrscheinlich niemanden drangesetzt haben, das persönlich zu prüfen.«
    »Das Foto war nicht besonders.«
    Super. Da geistert irgendwo ein Untergetauchter herum, ein Vergewaltiger, der weiß, wo ich wohne – und die Überprüfung hat nichts gebracht. Er ist wieder abgetaucht.
    Als Soline und Fabi kommen, schnatternd und lachend, wechseln wir das Thema. Die anderen bestellen sich Drinks, und wir lassen die Sushi-Liste herumgehen. Im »Asian Pacific« gibt es zusätzlich zum traditionellen Maki-Sushi eine »FEMA-Katastrophenhilfe-Rolle«– die erst serviert wird, wenn man mit dem Essen fertig ist und keinen Hunger mehr hat. Inzwischen beweisen selbst die Restaurants Galgenhumor.
    Fast eine Stunde lang reden wir abwechselnd über Politik und Solines Fortschritte beim Einrichten der neuen Wohnung. Der Springbrunnen steht im Hof und ist schon angeschlossen, erzählt sie, und ich denke unweigerlich an Tisha Johnsons dünnen Teppich. Das Sushi wird serviert. Die blauen Schälchen mit Wasabipaste, Soja- und Teriyakisauce tauschen wir untereinander aus. Während unsere Stäbchen über dem Tisch schweben und hier und da kleine Happen aufpicken, kreist das Gespräch um die Arbeit.
    Ich erzähle, dass mir die Plantagen-Story weggenommen worden ist. Die anderen schauen mich fragend an und lachen unsicher. Soline legt eine Hand leicht auf meine.
    »Du baust keinen Scheiß, oder, Süße?«
    Nein, alles okay, verkünde ich und ziehe die Hand weg. Erwähne, dass ich an einer anderen Geschichte dran bin, etwas Großem, und nach wie vor meine Club-Berichterstattung mache, und das kann ich inzwischen im Schlaf. Keine Sorge, keine Sorge. Sie scheinen einigermaßen beruhigt und fragen nach der anderen Geschichte. Die sei etwas völlig Neues, erkläre ich, etwas Gutes.
    Jazz Fest? Sie raten. Eine neue Ausstellung im NOMA?
    Ich schüttele den Kopf.

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