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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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drücken.« Sein Blick wandert zu der Glaswand und dem Grün dahinter.
    »Aber Sie sind einsam.«
    »Ja. Sein gesellschaftliches Leben zu verlieren – Freunde,Partys, Einladungen zum Essen ... – macht einsam. Aber so ist es nun mal: Ich bin als Gast bei einer Dinnergesellschaft nicht mehr attraktiv.« Wieder lacht er das traurige Lachen. »Niemand würde mich als Tischherrn neben eine reizende junge Ärztin oder ein Society-Girl setzen.« Es ist erschreckend, wie alt er wirkt, wie mutlos. »Aber wenn man bedenkt, was passiert ist, sind doch alle sehr freundlich.«
    »Ja, unsere alten Freunde«, wirft Mrs. Anderson ein. »Gute Familien, alteingesessen. Sehr herzlich, sehr großzügig. Und zwar nicht nur die Nachbarn hier, sondern unser gesamter alter Kreis. Dazu gehören einige der besten Familien in Louisiana – im Süden überhaupt. Sie würden niemals jemanden fallen lassen.«
    »Aber Einladungen bekommen Sie keine mehr«, spiele ich George wieder den Ball zu.
    Er nickt.
    »Und Sie?«
    Jetzt ist Mrs. Anderson diejenige, die den Blick senkt. Ihre Nägel sind perfekt lackiert; kleine, korallenrote Flecken an den knittrigen, sonnengebräunten Händen.
    »Ich gehe nicht mehr so viel aus wie früher«, sagt sie, »aber ich bin ohnehin viel lieber hier bei Georgie und leiste ihm Gesellschaft. Wir besuchen Museen, gehen schön essen oder ins Theater. Wir haben nach wie vor überall Dauerkarten und Abonnements.«
    »Es sind nur nicht mehr so viele gesellschaftliche Anlässe.«
    »Genau. Nicht mehr so viele.«
    »Was vermissen Sie am meisten?« Ich bemühe mich um ein freundliches, aufgeschlossenes Lächeln.
    »Ach, die Yachten!«, sagt sie sofort. »Die Yacht-Partys. Die waren immer wunderbar.« Sie seufzt und ringt unwillkürlich die Hände.
    George sieht zu ihr hinüber und räuspert sich.
    »Ich vermisse wohl ...« Er hält einen Moment inne. »Ich vermisse es, dass man mir Vertrauen entgegenbringt. Michals gleichberechtigt behandelt. Ich habe immer das Gefühl, weniger wert zu sein. Und ich bin weniger wert. Das weiß ich. Ich selbst habe meinen Wert gemindert, könnte man sagen.« Er fährt sich durchs Haar. »Nur ist es so: Ich habe Schlechtes getan , fühle mich aber, als sei ich schlecht. So behandeln mich die Leute: wie etwas Schlechtes. Und es scheint, als könnte ich bis ans Ende meines Lebens weitermachen, ohne je etwas Schlechtes zu tun, und würde in den Augen der Leute trotzdem immer etwas Schlechtes bleiben . So etwas lässt sich nicht ausgleichen. Man bleibt gebrandmarkt. Ein Leben lang.«
    »Das ist ein hoher Preis.« Meine Stimme ist leise.
    »Ein sehr hoher«, erwidert seine Mutter. »Dass ein Mann für immer so leiden muss ...«
    »So hoch nun auch wieder nicht«, fällt er ihr ins Wort. »Nicht so hoch wie der Preis, den die Mädchen gezahlt haben. Das ist mir klar. Sie müssen leben mit dem, was ich ihnen angetan habe. Sie zahlen den höchsten ...« Er verstummt und schlägt die Hände zusammen. Schaut zu dem Diktiergerät. »Kann ich einfach um Verzeihung bitten? Können Sie das mit reinbringen? Dass es mir unendlich leidtut?«
    »Natürlich, Mr. Anderson«, sage ich sanft. »Das werde ich aufnehmen.«
    »Mein Gott«, fährt er fort. »Ich habe nie jemandem wehtun wollen. Nie ...«
    Einen Moment lang herrscht Schweigen.
    »Mr. Anderson, Untersuchungen zeigen, dass viele Sexualstraftäter selbst irgendwann Opfer sexueller Belästigung oder sexuellen Missbrauchs waren. Ich will mit meinem Artikel auch darüber aufklären, wie dieser Kreislauf funktioniert. Können Sie dazu etwas sagen?«
    »Oh nein.« Mrs. Anderson springt auf. »Das tust du nicht.«
    »Setz dich, Mama.«
    »Ich hab dir gesagt, dass das mit diesem Interview schrecklich ...«
    »Das ist meine Entscheidung. Ich möchte darüber reden. Es endlich nicht mehr verbergen.« Er sieht müde aus. »Außerdem ist er tot.«
    »Unser guter Name ist es nicht.« Sie bebt vor Zorn. »Noch nicht.«
    »Doch, das ist er.« Wieder seufzt George Anderson. »Das ist er, Mama. Setz dich.« Langsam sinkt sie zurück auf das graue Wildleder. »Ja, ich bin belästigt worden. Im Knabenalter. Von meinem Onkel, Frank Anderson.«
    »Richter Anderson?« Volltreffer . Anderson war eine Ikone der Rechtschaffenheit und moralischen Integrität. Georges Mutter bekreuzigt sich.
    »Ja, er war mein Onkel. Ich musste bei ihm auf dem Schoß sitzen, und er hat mich berührt. Danach hat er mir einen Zehndollarschein in die Hand gedrückt und gesagt, ich soll spielen

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