Toedlicher Sumpf
sagt er langsam. »Im Ernst. Neu. Gereinigt, leicht. In der Welt zu Hause – zum ersten Mal in meinem Leben.«
In der Welt zu Hause. »Das muss ...«
»Es war unglaublich. Wie gesagt, mir war ja nicht mal klargewesen, dass das mit Onkel Frank mir etwas ausmachte.« Er schüttelt den Kopf, als wundere er sich immer noch darüber.
»Und hat diese Erfahrung Ihre Haltung gegenüber den betroffenen Frauen verändert?«
»Mein Gott, ich habe mich scheußlich gefühlt. Es war – ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll –, als wäre ein Tuch von meinen Nerven weggezogen worden, als würde ich zum ersten Mal alles unmittelbar spüren. Und es ging mir schlecht. Mir war völlig klar, welchen Schaden ich angerichtet hatte. Denn ich wusste ja selbst, wie es sich anfühlt. Es ist furchtbar. Eine solche Last. Das Wissen darum. Die Schuld.«
Mrs. Anderson starrt ihren Sohn fasziniert an.
Ich versuche ein ermutigendes Lächeln. »Und seit Sie geweint haben, hat sich Ihr Gefühl verändert?«
»Von Grund auf, ja. Ich denke, ich könnte sogar eine Beziehung eingehen. Eine normale Beziehung zu einer Frau. Davor war ich immer nur ... unterwegs. Wechselnde Verabredungen, mal ein bisschen Küsserei. Sobald es zu eng wurde«, er blickt kurz zu seiner Mutter hinüber, »zu ernst, fand ich einen Vorwand, um es zu beenden. Ich weiß, dass die Leute schon anfingen zu reden. Heute, denke ich, würde ich damit klarkommen.« Sein Lächeln hat etwas Schüchternes. »Ich meine, ich würde es gern versuchen.« Das Lächeln erlischt, und er zuckt erneut die Achseln. »Aber wer will mich schon? Jetzt, nach der Sache?«
»Mach dir keine Gedanken, Georgie«, sagt seine Mutter schnell, »es wird jemanden geben. Wart’s nur ab.«
Mein Eistee ist getrunken, und ich fühle mich wie ausgedörrt. Ich hebe das Glas kurz an. »Könnte ich vielleicht noch etwas haben?«
Verwirrt schaut sie mich an. »Aber ja, natürlich, meine Liebe«, sagt sie und zieht ihre elektronische Dienstbotenglocke hervor. »Und du brauchst noch ein Glas Limonade, Georgie. – Das ist schrecklich für eine Mutter«, erklärt sie, wieder zu mir gewandt. »Sein eigener Onkel, hier bei uns zu Hause. Ich hatteja keine Ahnung. Der Bruder meines Mannes, möge seine Seele in Frieden ruhen. Wie soll man so etwas mitbekommen?«
»Und Ihr Mann ist auch verstorben?«
»Ja.« Sie bekreuzigt sich. »Vor nun schon zehn Jahren. Auch ein Herzinfarkt. Es war ein Segen, dass er das nicht mehr miterleben musste.«
George blickt auf.
»Georgie, ich wollte nicht ...«
Dahlia kommt lautlos herein. Mrs. Anderson verstummt. Dahlia nimmt unsere Gläser und verschwindet wieder.
Gute Gelegenheit, das Thema zu wechseln. »In einer Sache wüsste ich gern Ihre Meinung, Mr. Anderson.« Ich hole den Flyer hervor, streiche ihn glatt und halte ihn hoch. »Ich nehme an, Sie haben beide von dem Fall Amber Waybridge gehört, von der jungen Frau, die vorige Woche im Quarter entführt worden ist.«
George Anderson nickt. Seine Mutter sagt: »Ja, das arme Mädchen. Wir haben es in den Nachrichten gesehen.« Ihre Lippen werden schmal. »Aber was hat das mit George zu tun?«
»Wie Sie vielleicht wissen, ist inzwischen ein Leichnam gefunden worden. Verletzungen an den Weichteilen deuten darauf hin, dass es sich um ein Sexualverbrechen handelt.« Die alte Dame zuckt zusammen, George Anderson weicht meinem Blick aus. »Sie ist verstümmelt worden.« Ich halte mich an das Versprechen, das ich Calinda gegeben habe, und belasse es bei dieser vagen Aussage. »Auf ziemlich grausame Weise, und zwar so, dass es für die Polizei schwierig war, sie zu identifizieren.«
Mrs. Anderson stößt ein kleines gurgelndes Geräusch aus, George Anderson rutscht unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Der Blick der alten Dame wird wieder wachsam.
»Georgies Fehlverhalten war nicht von dieser Art, meine Liebe. Da gab es keine Grausamkeit.«
»Selbstverständlich nicht! Ich kenne die Akten und Sie, Mr.Anderson, und es liegt mir fern zu unterstellen, dass Sie damit zu tun haben könnten. Es würde mich aber trotzdem interessieren, zu welchem Ergebnis Sie kämen, wenn Sie ein paar Spekulationen anstellten. Wenn Sie sich einfach für einen Moment gestatten würden, sich vorzustellen, was einen Menschen zu einer solchen Tat treibt ...«
»Das ist ja lächerlich«, fährt Mrs. Anderson dazwischen. »Mein George hat mit dieser Sache nichts zu tun, und ich begreife nicht, was das hier zu suchen hat. Ich lasse nicht zu, das er
Weitere Kostenlose Bücher