Tödliches Abseits (German Edition)
zu einer Erklärung, welche Alternativen für Frühsel sonst in Frage kämen.
Brischinsky setzte sich wieder. »So, jetzt noch einmal von vorne.« Er griff zu seiner Zigarettenschachtel. »Willste ’ne Kippe?«
Wortlos griff der Hooligan eine Zigarette, nahm Brischinskys Feuerzeug und zündete sie sich an. Dann inhalierte er tief.
»Na, geht doch«, sagte der Hauptkommissar zufrieden und steckte sich auch einen Glimmstängel an.
Baumann stand noch immer an der Tür und beobachtete gespannt die Szene.
»Wat wollen Sie von mir?«, brach Ingo Frühsel als Ers-
ter das minutenlange Schweigen.
»Antworten.«
»Von mir erfahrn Se nichts. Absolut nichts.«
»Verstehe ich. Verstehe ich wirklich. Dann gehst du eben alleine in den Knast. Gefährliche Körperverletzung, versuchter Totschlag, unter Umständen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Mord.«
»Mord? Dat können Se mir nicht anhängen. Damit hab ich nichts zu tun.«
»Wie alt bist du?«
»Neunzehn.«
»Neunzehn. Na toll. Wenn du Glück hast, wirst du noch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Dann sind’s nur zehn Jahre. Und so ein cooler Typ wie du sitzt zehn Jahre doch auf einer Arschbacke ab, oder? Antworten will ich haben, Antworten.«
Frühsel sah sich gehetzt um. »Darf der mir drohen? Zehn Jahre? Stimmt dat?«
Baumann studierte, ohne Frühsel anzusehen, äußerst interessiert den Kalender an der Seite ihres Schrankes und ignorierte die Frage.
»Aber da sitzt doch schon einer. Der war dat doch. Dat stand so in der WAZ . Dat können Se doch nicht mir unterschieben.«
»Ja, das stimmt. Da sitzt einer in U-Haft. Ein BVB-Fan wie du. Und wie der Tote.«
Der Verhörte schwieg.
»Lassen wir den Mord einmal weg. Heiner, wenn der junge Mann hier nicht nach Jugendstrafrecht abgeurteilt wird – mit welcher Strafe muss er rechnen?«
»Ich würde sagen: fünfzehn Jahre.«
Frühsel sagte immer noch kein Wort. Doch seine Kiefer mahlten vor Anspannung.
»Ich an deiner Stelle würde reden. Wir können beweisen, dass du im Zug dabei warst. Bestimmt finden wir Zeugen, die gegen dich aussagen. Unter den Schalkern natürlich. Und dann ...«
»Scheiße.«
»Stimmt. Und du steckst da ziemlich tief drin.«
Frühsel zog an der Zigarette. »Wat springt für mich dabei raus, wenn ich allet sage, wat ich weiß?«
»Mit mir kannst du nicht handeln. Aber ich verspreche dir, dass der Richter erfährt, dass du freiwillig eine Aussage gemacht hast.«
Eine halbe Stunde später hielt Hauptkommissar Rüdiger Brischinsky eine unterschriebene Aussage von Ingo Frühsel in den Händen. Der Polizist kannte die Namen der meisten Schläger, die den Wagon der Emschertalbahn zwischen Herne und Castrop überfallen hatten. Erwusste, wer die Anführer der Gruppen waren und wie die Aktion abgelaufen war. Aber ob Droppe derjenige gewesen war, der Kröger das Messer in die Brust gestoßen hatte, wusste er immer noch nicht. Und der Mörder von Hubert Hasenberg lief möglicherweise auch noch frei herum. Wenigstens im Fall Martin Pleiße sah alles nach Selbstmord aus. Wenn Elisabeth Großkopf-Schmittdellen nicht doch Recht hatte. Je länger die Ermittlungen dauerten, desto unsicherer wurde Brischinsky. Gab es einen Serientäter? Oder hatten die Morde möglicherweise nichts miteinander zu tun? Wunder hatte ihm geraten, sich an die Fakten zu halten. Aber sein Gefühl ...
Sonja Kostalis störte seine Gedanken. »Chef, das müssen Sie sich ansehen«, überfiel sie den Hauptkommissar und Heiner Baumann, nachdem sie ohne anzuklopfen in das Büro gestürmt war. »Die Liste hier, ich habe hier eine Liste ...« Atemlos wedelte die junge Polizistin mit ihren Unterlagen. »Also, ich habe hier eine Liste mit Autonummern ... Da ist auch eine aus München ...«
»Immer langsam mit die jungen Pferde. Jetzt kommen Sie erst einmal zu sich. Und dann alles der Reihe nach.«
Sonja Kostalis holte tief Luft. »Ein Anwohner der Brandheide hat ein ... Na ja, wie soll ich das nennen? ... etwas seltsames Hobby. Er sammelt Autokennzeichen, weil diese seiner Meinung nach zusammen mit dem Wagentyp und der Farbe des Fahrzeuges Rückschlüsse auf den Eigentümer zulassen.«
Brischinsky verstand nur Bahnhof und so sah er auch aus. »Was macht der?«
»Die Motive Erich Dräschers sind nun wirklich nicht wichtig, sondern ...«
»Dräscher?«
»Der Anwohner.«
»Aha.«
»Wichtig ist, dass Erich Dräscher in jeder freien Minute am Fenster hängt und die Kennzeichen aller Autos notiert, die in das Waldstück
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