Tödliches Abseits (German Edition)
geblieben sind, fahren häufig sportlich hochgezüchtete Wagen. Oder solche, die nach Sportwagen aussehen. Je nach Geldbeutel.«
»Tatsächlich?«
»Oder die so genannten Nonkonformisten. Hatten früher alle einen 2 CV. Die Ente!« Erich Dräscher lachte leise und bekam einen begeisterten, leicht wirren Gesichtsausdruck. »Frauen fahren häufiger Kleinwagen, Familienväter Limousinen oder Kombis. Und dann die Farben. Haben Sie schon einmal einen Dienstwagen in Pink gesehen?«
Sonja Kostalis schüttelte verblüfft den Kopf. Langsam konnte sie nachempfinden, was Erni Dräscher mit der Bemerkung meinte, ihr Bruder sei schwierig.
»Sehen Sie. Immer nur schwarz oder dunkelblau. Manchmal auch dunkelgrün. Sportliche Fahrer bevorzugen ebenfalls schwarz oder rot. Frauen lieben blau und gelb. Verstehen Sie?«
Die Polizistin verstand nichts.
»Und so ist das auch mit den Kennzeichen.« Er sah sie triumphierend an.
»Wie bitte?«
»Mit den Kennzeichen. Seit einigen Jahren können Autofahrer gegen eine Gebühr bei der Anmeldung ihres Fahrzeuges ihr Kennzeichen wählen. Sie glauben gar nicht, wie viele Herner Wagen mit HER-NE, HER-Z, HER-UM und so etwas durch die Gegend fahren. Und dann erst die aus Recklinghausen: Da gibt es RE-P, RE-X, RE-UE, RE-IN.« Erich Dräscher redete sich in Rage.
Sonja Kostalis musterte ihn mit zunehmender Fassungslosigkeit.
»Und erst die Zahlenfolgen: Geburtsdaten, Kaufzeitpunkt des Autos, Anzahl der Modelle. Einige fahren auch die Geheimzahl ihrer Scheckkarte am Auto spazieren.«
»Und Sie glauben, dass das alles ...«
»... auf den Menschen Rückschlüsse erlaubt, der den Wagen besitzt. Ja! Das ist mein Forschungsgebiet. Die Beziehungen zwischen Wagentyp, Farbe, Autonummer und Besitzer. Ich arbeite daran seit Jahren.« Er rollte zu einem Schrank und öffnete ihn. Darin standen Dutzende von Aktenordnern. »Sehen Sie hier. Alles sorgsam katalogisiert. Autotyp, Farbe und Kennzeichen der meisten Wagen, die in die Brandheide gefahren sind. Seit 1981. Natürlich nicht vollständig, leider. Ich kann ja nicht ständig auf meinem Balkon sitzen und mit dem Fernrohr die Fahrzeuge beobachten.«
Sonja Kostalis ging zum Fenster und sah über den Balkon zur Brandheide. Der Blick auf den Zufahrtsweg war frei. Nur der Parkplatz und der Weg weiter hinten in den Wald hinein waren durch Bäume verdeckt. Dann entdeckte sie das Fernrohr, das in einer Ecke des Balkons stand.
»Und Sie haben alle Kennzeichen der Autos notiert, die hier durchgefahren sind?«, fragte sie entgeistert. »Und den Wagentyp? Seit 1981?« Erich Dräscher war total verrückt, soviel stand fest.
»Fast alle. Woche für Woche, selbstverständlich.«
Die junge Polizistin schluckte. »Woche für Woche? Heißt das, Sie können mir eine Liste der Fahrzeuge geben, die in der Woche um den 28. Februar herum hier durchgefahren sind?«
»Sicher. Sagte ich das nicht bereits? Aber ich brauche sie zurück. Meine Forschungen, verstehen Sie?«
Zehn Minuten später verließ Sonja Kostalis die Geschwister Dräscher mit einer nach Städten und Fahrzeugtyp geordneten Liste von etwas mehr als 600 Fahrzeugen. Und mit etwas Glück war der Wagen darunter, in dem Hubert Hasenberg seine letzte Fahrt in die Brandheide unternommen hatte.
37
Der Fan hatte kein Telefon. So fand er eines Tages neben der Werbung in seinem Briefkasten einen Brief seiner Mutter, in dem sie sich bitter über seine selbst gewählte Isolation beklagte und von ihren vergeblichen Versuchen berichtete, ihn in seiner Wohnung zu besuchen. Jetzt lud sie den Fan zu einem Familienfest ein, welches anlässlich ihres sechzigsten Geburtstages stattfinden sollte. Sie bat ihren Sohn eindringlich, zu ihrer Feier zu kommen. Dies sei der einzige Wunsch, den sie noch habe.
Der Fan fühlte sich eigentümlich berührt und beschloss, an der Geburtstagsfeier teilzunehmen.
Das Fest verlief so, wie er es erwartet hatte. Seine Mutter war ständig bemüht, ihren Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, und eilte ununterbrochen zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her, um Kuchen und Kaffee, später Bier und Schnaps zu servieren. Der Fan saß schweigend auf dem Sofa zwischen seiner Schwester und ihrem Mann. Da er auf die Fragen seines Schwagers nach seiner beruflichen Situation nur wortkarg reagierte, schlief die Unterhaltung schnell ein. Seine Schwester sprach kaum mit ihm, vermutlich war ihr der Bruder fremd geworden.
Als sich die ersten Gästen verabschiedeten, nutzte auch der Fan die
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