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Tödliches Abseits (German Edition)

Tödliches Abseits (German Edition)

Titel: Tödliches Abseits (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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dürfe nicht nur an seine Sicherheit denken, forderten sie, sondern müsse sein Leben uneigennützig dem Verein zur Verfügung stellen. Und er müsse seine Rituale intensivieren.
    Vater versuchte, die Stimmen unter Kontrolle zu bringen und den Fan zu beruhigen. Trotzdem meldeten sich die Stimmen immer öfter und immer heftiger. Der Fan verspürte quälende Kopfschmerzen, verlor die Fähigkeit, klar zu denken, auch wenn die Stimmen ihn in Ruhe ließen. Und er dachte häufig an den Tod.
    40
    »Wo hast du die Karten für das Spiel gekauft?«, wollte Cengiz von Rainer wissen, als der ihn am Freitagnachmittag abholte.
    »Bei Stan Libudas Bude in Schalke, wo sonst?«
    »Bei Libuda, klar. Ich denke, der ist tot?«
    »Ist der auch. Aber seine Bude gibt’s noch.«
    »Aha. Das heißt, wir stehen gleich mitten im Schalker Fanblock?«
    »Logo.«
    »Und wenn da einige was gegen Ausländer haben?«
    »Warum sollten sie?«
    »Genau das frage ich mich auch schon seit Jahren. Und trotzdem gibt es die Übergriffe gegen uns.«
    »Ich denke, du bist kein Ausländer?«
    »Bin ich auch nicht. Ich sehe aber wie einer aus.«
    »Auch wieder wahr. Also, häng dir den Schal von Schalke um den Hals, dann hält dich jeder, der latent ausländerfeindlich ist, für integriert.«
    »Ich bin integriert«, protestierte Cengiz. »Nur manche der ausländerfeindlichen Schwachköpfe anscheinend nicht.«
    »Jetzt mach dir nicht ins Hemd und komm.« Rainer zog seinen Freund aus dessen Wohnung. »Wir sind schon spät dran. Übrigens, Kurt kommt auch mit. Wir treffen uns vor dem Stadion.«
    »Wer ist Kurt?«
    »Habeich dir doch erzählt. Kurt Schacklowski. Mein Kumpel von früher aus der Teutoburgia-Siedlung.«
    »Auch das noch.« Cengiz ahnte Böses.
    »Nein, keine Panik. Ich fahre.«
    »Nur hin?«
    »Nee, auch zurück«, versicherte Rainer.
    »Na, dann schaun mer mal.«
    Als Cengiz Rainers Jugendfreund sah, fiel ihm vor Verblüffung die Kinnlade herunter. Kurt Schacklowski wirkte, als ob er auf dem Weg zum nächsten Karnevalsumzug wäre. Der Schalke-Fan war etwa Ende dreißig, fast zwei Meter groß, hatte ein zerfurchtes und vernarbtes Gesicht und schleppte einen gigantischen Bierbauch vor sich her. Sein blondes Haar war schon ziemlich schütter. Ihn schmückte ein Schnauzer, der an den Seiten bis zu den Mundwinkeln herabhing. Bei ihrer Begrüßung offenbarte sein geöffneter Mund das Fehlen von drei Vorderzähnen. Frankenstein lässt grüßen, dachte Cengiz.
    Noch beeindruckender als seine Gestalt war SchacklowskisOutfit. Er war mit einem knappen T-Shirt mit der Aufschrift UEFA-Cup Sieger 97 Schalke 04 bekleidet, das sich über seinen gewaltigen Bauch spannte. Darüber trug er eine Art Gehrock, der vollständig mit mehr oder weniger originellen Aufnähern mit Sprüchen und Symbolen gegen Schiedsrichter im Allgemeinen und Fans anderer Vereine im Besonderen sowie Emblemen befreundeter Fußballklubs geschmückt war. Seine blaue Jeans zierten aufgenähte Sprüche wie: Who the fuck is Borussia Dortmund? oder Bayern München – Nein danke . Natürlich hatte Schacklowski einen blau-weißen Schal um den Hals. Die Krönung aber war ein Wikingerhelm in Blau-Weiß, an dessen Hörnerspitzen kleine Glöckchen angebracht waren, die bei jeder Bewegung bimmelten. Kurt Schacklowski weckte in Cengiz Assoziationen an eine Milka-Kuh.
    »Friert der nicht?«, flüsterte Cengiz seinem Freund zu. »Nur in einem T-Shirt mit Kutte?«
    »Ach was. Der schreit sich warm. Außerdem ist er der Fahnenschwenker. Und den Rest macht der Schabau.«
    »Na dann.« Erst jetzt musterte Cengiz die drei Holzstöcke genauer, die Schacklowski mit sich durch die Gegend schleppte. »Ist das die Fahne?«, fragte der Türke laut.
    »Genau«, antwortete die Milka-Kuh. »Dat isse. Stockhöhe über sechs Meter. Wird einfach zusammengesteckt. Fahnengröße fünf mal zwei Meter. Da brauchse wat in die Arme, um dat Ding zu schwenken, dat sach ich dir abba. Muss zu jedem Spiel mit. Is egal, ob auswärts oder auf Schalke. Hat unser Fanklub selbst gemacht. Also, eigentlich mehr unsere Frauen, wa«, schränkte er ein. »Abba die Stöcke, die ham wir besorcht, wa.«
    Cengiz war gebührend beeindruckt. Er warf seinem Freund einen Blick zu, der auf Rainer wenig schmeichelhaft wirkte, und sagte etwas ungehalten: »Sollen wir hier Wurzeln schlagen? Lasst uns gehen.«
    Die erste Halbzeit des Fußballspieles verlief torlos und ausgesprochen langweilig. Lediglich die Anfeuerungsgesänge und Schmährufe der

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