Tödliches Abseits (German Edition)
Elisabeth Großkopf-Schmitt-
dellen kramte ein Foto aus einem der Ordner hervor und hielt es Brischinsky hin. Der schaute nur kurz auf das Bild: Das Gesicht des Zusammengeschlagenen wies eine gewisse Ähnlichkeit mit einer zermatschten Tomate auf.
»Wieso nahmen die Geschädigten an, jemand aus ihrem Lager vor sich zu haben?«
»Er trug immer das Trikot ihres Vereins.«
»In allen Fällen?«
»In allen Fällen!«
»Und der Täter hat seine Opfer beraubt?«
»Manchmal. Schal, Mütze, Vereinsfahne. Nie Wertsachen. Kein Geld.«
»Ein Devotionalienjäger?«
»Oder Kriegsbeute.«
»Hm.« Brischinsky griff zu einer Akte und blätterte darin. »Alle ungeklärt?« Er sah die LKA-Beamtin fragend an. Diese nickte nur.
»Was ist mit einer Täterbeschreibung?«
»Die meisten der Überfallenen konnten nur sehr grobe Angaben machen: schwarzhaarig, groß, schlank, Mitte zwanzig. Aber eines der Opfer verdiente sich seine Brötchen als Maler. Er macht Porträts auf Jahrmärkten. Sie kennen doch diese Schnellzeichner, die in zehn, fünfzehn Minuten ein Bild anfertigen.«
Brischinsky brummte Zustimmung. Eines dieser Kunst-werke zeigte ihn und verstaubte in seinem Keller.
»Dieser Mann war ein Glücksfall. Er war darauf trainiert, sich die wesentlichen Gesichtsmerkmale in Sekundenschnelle einzuprägen. So konnte ein recht präzises Phantombild angefertigt werden.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Es liegt hinten in der Akte, die Sie in der Hand halten.«
Brischinsky sah sich das Bild an. Es zeigte ein hageres Gesicht mit etwas hervorstehenden Backenknochen, buschigen Augenbrauen und zurückliegenden Augenhöhlen. »Der Mann sieht so ... Ja, etwas eigenartig aus. Bei einem brutalen Schläger würde ich eine andere Physiognomie vermuten.«
»Das ist mir auch sofort aufgefallen. Der ganze Ausdruck, er wirkt irgendwie melancholisch.«
»Haben die Gelsenkirchener die Zeichnung nicht veröffentlicht?«
»Natürlich. Aber die Ermittlungen sind trotzdem im Sand verlaufen.«
Der Hauptkommissar klappte den Aktendeckel zu. »Das kommt vor. Ich vermute, Sie wollen Ihre Serientäterhypothese untermauern? Deshalb haben Sie doch das Zeug angeschleppt, oder?«
Die Psychologin lächelte. »Ich weiß, dass in den Fällen Hasenberg und Pleiße einiges gegen meine Vermutungen spricht. Aber bei Kröger ...« Sie sprach nicht weiter.
»War’s der Droppe«, ergänzte Brischinsky ungeniert. »Ich bin mir sicher.« Fast, ergänzte er in Gedanken.
Ein Handy klingelte. Beide Beamten reagierten reflexartig: Brischinsky durchwühlte die Taschen seines Sakkos, die Psychologin ihre Handtasche. Sie förderte als Erste ein piependes und blinkendes Gerät ans Tageslicht.
Scheißdinger, dachte der Kommissar. Das ist erst der Anfang. Bald rennt jeder zwischen acht und achtzig mit so einem Kommunikator durch die Gegend. Dann piepst und klingelt es ohne Unterbrechung. Und alle in einem Umkreis von fünfzig Metern wollen die Anrufe entgegennehmen. Dieser Gedanke erheiterte ihn.
Elisabeth Großkopf-Schmittdellen hatte ihr kurzes Telefonat beendet. »Das war Frau Kostalis. Sie war in meinem Auftrag unterwegs.«
»Was war sie?«
»Ich habe sie gebeten, mir bei meinen Ermittlungen zu helfen.«
Brischinsky blieb die Luft weg. Was erlaubte sich diese ... diese Psychologin. »Ihre Ermittlungen?«, fragte er gedehnt.
»Ja, natürlich.« Sie strahlte ihn an. »Sie haben doch sicher keine Einwände, oder?«
Der Kommissar schluckte. Eine Stunde würde nicht reichen, um alles aufzuzählen, was er dagegen hatte, wenn sich jemand in seine Ermittlungen einmischte.
»Frau Kostalis war sehr erfolgreich.«
»Was Sie nicht sagen.«
»Ich habe sie mit dem Phantombild zu den uns bekannten Zeugen der Schlägerei geschickt. Zwei von ihnen haben den Mann zweifellos wieder erkannt.« Sie fischte erneut die Zeichnung aus der Akte. »Dieser Mann war in dem Wagon, in dem Kröger umgebracht worden ist.«
Brischinsky, der sich halb erhoben hatte, ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Das hatte ihm noch gefehlt.
42
Rainer rannte die Treppe hoch. Er nahm zwei, drei Stufen mit jedem Satz. Im Laufen sah er sich um. Wo, zum Teufel, steckte Cengiz? Immer wenn man ihn brauchte ...
»Kannst du Arsch nicht aufpassen?«, brüllte ihn ein Mittvierziger an, der dank Rainers Ungestüm einen großen Teil seines Getränkes nicht mehr im Plastikbecher, sondern auf dem Jackenärmel hatte.
»’tschuldigung«, stieß Rainer hervor und hastete weiter durch die Gänge des
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