Toedliches Erbe
gesagt hatte, daß sie herführe. Alsdann, Cecily, dachte sie, da wären wir. Was bleibt von einem Leben?
Die wesentlichen Überbleibsel standen zwischen zwei Bücherstützen auf einem Tisch in der Mitte des Raums. Die Erstausgaben ihrer Bücher, die Wallingford als Teil ihrer »Papiere« gekauft hatte.
Es waren zwanzig Bände, keine kleine Zahl, wenn man bedachte, mit welcher Sorgfalt Cecily geschrieben hatte. Kate erinnerte sich, wie Max einmal vor langer Zeit über eine äußerst populäre Schriftstellerin bemerkt hatte, diese schreibe pro Jahr mehr Romane, als er 94
lese. Dennoch war es erstaunlich, wieviel selbst eine so gewissenhaf-te Schriftstellerin wie Cecily hatte schaffen können, weil sie täglich ein paar Stunden konsequent gearbeitet hatte. Kate riß ihren Blick von den Romanen. In der Nacht war ihr eingefallen, daß die Bodleian als Archiv ein Exemplar jedes in England erschienenen Buches enthielt. Da die Bibliothek keine Ausleihe besaß, war anzunehmen, daß die Bände auch greifbar waren – anders als an Kates Universität, wo die Bücher ständig ausgeliehen waren und die Chance, einen bestimmten Titel auch zu bekommen, bei höchstens fünfzig Prozent lag. In der Bodleian sitzend, konnte sie zwischen Begegnungen mit der wieder auflebenden Phyllis und der nostalgischen Wiederentdeckung der Oxforder Szene sämtliche Schriften von Cecily und Dorothy Whitmore durcharbeiten.
Konnte sie erwarten, in den Papieren schon jetzt auf Hinweise zu stoßen? Auf den Kartons war der jeweilige Inhalt verzeichnet, und auf einem stand »Nicht geordnet«. Kate entdeckte, daß es sich dabei um die Unterlagen handelte, die bei Cecilys Tod auf ihrem Schreibtisch gelegen hatten. Seltsamerweise befanden sich auch ungeöffnete Briefe darunter. Wahrscheinlich hatten die sich während ihres Eng-landaufenthaltes auf dem Postamt angesammelt und waren erst nach ihrem Tod zugestellt worden. Dennoch war es eigenartig, daß niemand sie geöffnet hatte. Es hätte doch sein können, daß einige beantwortet werden mußten. Aber als Kate sie durchging, sah sie, daß alle privater Natur waren und von ihr bekannten und unbekannten Briefpartnern stammten. Die Rechnungen und andere geschäftliche Korrespondenz waren vom Anwalt oder von den Kindern erledigt worden. Diese Briefe zählten offenbar zum literarischen Teil ihres Nachlasses und fielen daher in Max’ Ressort. Kate nahm sie zur Hand und blätterte sie flüchtig durch. Plötzlich stutzte sie. Da war ein Brief von Gerry Marston. Er steckte in einem langen weißen Umschlag. Cecilys Adresse und Gerrys Absender oben links in der Ecke (ihre Zimmernummer an der Universität) waren mit Schreib-maschine geschrieben. Der Poststempel war kaum zu lesen, ebenso das Datum, was ja immer häufiger vorkam.
Entschlossen trug Kate den Brief zu Sparrow. »Vermutlich können wir ihn nicht einfach öffnen, oder?«
Sparrow starrte ihn an. »Allerdings«, sagte er. »Der ist wohl von Ihrer Studentin, die, wie mir Max erzählt hat, in Maine gestorben ist.
Seltsam, daß er bisher niemandem aufgefallen ist.«
»Sicher wurde er mit all den anderen Briefen zusammengepackt, 95
die aussahen wie Briefe von Lesern und nicht von Firmen.«
»In jedem Fall gehört er jetzt Wallingford«, sagte Sparrow. »Aber… was halten Sie davon, wenn ich Max anrufe und frage, ob wir den Brief öffnen dürfen?«
»Ein glänzender Vorschlag. Hoffentlich ist er da.«
Er war da. Er murmelte eine Entschuldigung, weil er die Briefe so lange hatte liegen lassen, und sagte, selbstverständlich dürfe Kate ihn öffnen, berichtete Sparrow. Er griff nach einem langen Brieföffner, schlitzte den Umschlag sauber an der Oberkante auf, zog das maschinengeschriebene Blatt heraus und reichte es Kate. Sie revan-chierte sich für seine höfliche Geste, indem sie laut vorlas.
»›Liebe Miss Hutchins: Danke für Ihre freundliche und prompte Antwort. Natürlich bin ich enttäuscht zu erfahren, daß Sie nichts besitzen, was im Zusammenhang mit meiner Arbeit über Dorothy Whitmore von Wichtigkeit sein könnte. Die Nachricht von dem Porträt ist dagegen sehr aufregend. Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mich zu sich einladen und mir das Bild zeigen wollen, wenn Sie aus England zurück sind. Ich freue mich sehr, dann von Ihnen zu hören. Bedanken möchte ich mich auch für Ihr Angebot, nachzu-schauen, ob Sie noch etwas über Miss Whitmore haben, obwohl Sie sicher sind, daß dies nicht der Fall ist. Mit freundlichen Grüßen‹,
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