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Toedliches Erbe

Toedliches Erbe

Titel: Toedliches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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waren, um sich bei Ypern und Neuve Chapelle abschlachten zu lassen. Das Somerville College hatte man, weil es neben dem Radcliffe-Krankenhaus lag, in ein Militärhospital umgewandelt. In St. Mary Hall hatte man währenddessen den Verbindungsgang zwischen dem Wohnbereich der männlichen und der weiblichen Studenten zugemauert. Nach der Oxforder Legende hatten ein paar unerschrockene Seelen von der einen Seite aus (oder von beiden) die Backsteine wieder weggeräumt, und bis das Loch erneut zugemauert werden konnte, bewachten die Direktorin des Somerville ihre Seite des Lochs und der Domherr des Oriel die seine.
    Kate fuhr am Somerville vorbei, nicht ohne einen schmachtenden Blick darauf zu werfen, der sie beinahe teuer zu stehen gekommen wäre, denn im selben Augenblick schoß ein Lastwagen aus dem Gelände des Radcliffe-Krankenhauses. Als Somerville 1919 wieder College wurde, studierten die Whitmore und die Hutchins im zweiten Jahr dort. Die Whitmore, die zwei Jahre in der britischen Army gedient hatte, war die ältere. Während diese Dinge Kate durch den Kopf gingen, fuhr sie am Observatorium vorbei, bog nicht in die Observatory Street ein – Phyllis hatte ihr das sehr eindringlich erklärt
    –, fuhr an der kleinen Ladenzeile an der Woodstock Road vorbei –
    Kate hakte sie in Gedanken nacheinander ab: eine Drogerie (bei den Einheimischen hieß sie Apotheke), eine Reinigung, ein Lebensmit-telgeschäft, ein Laden, der Postkarten und ähnliches verkaufte – und bog dann nach links in die St. Bernard’s Road. Phyllis’ Haus lag auf der linken Seite, etwa nach einem Drittel der Straße, leicht zu erkennen, hatte Phyllis gesagt, weil es das einzige war, bei dem weder vor noch hinter dem Haus der Rasen gemäht war. »Man runzelt darüber sehr heftig die Stirn.« Kate lehnte ihr Fahrrad gegen den Zaun und schloß es mit einer Kette an, die der Fahrradverleih ihr gegeben 99

    hatte. Mußte man in Oxford früher auch die Fahrräder anketten? Sie läutete.
    »Was du jetzt brauchst, ist ein Drink«, sagte Phyllis. »Herzlich willkommen im schäbigsten Wohnzimmer von Oxford, und das will schon einiges heißen. Nein, setz dich nicht auf die Couch, du wirst bis auf den Fußboden durchsinken und im Lotussitz enden. Immer wenn ich diese Couch sehe, denke ich an diese Szene in ›Private Lives‹, als Elyots derzeitige Frau schockiert ist, weil Elyot mit Amanda davonrennt und sie sich fühlt, als sei schleimiges Ungeziefer über sie hinweggekrochen; darauf sagt Elyot: ›Das kann schon sein, das Sofa ist sehr alt.‹ Der Sessel ist häßlich, riesig und erstaunlich bequem. Kate, ich kann mich nicht erinnern, jemals über einen Besuch so froh gewesen zu sein. Aber jetzt höre ich auf zu schwätzen und frage dich erst einmal, wie es dir geht. Also, wie geht es dir?
    Magst du einen Scotch? Wir haben einen Kühlschrank mit dem Fas-sungsvermögen eines Schminkköfferchens. Aber in der Vorfreude auf deine Ankunft ist es mir gelungen, zwei Eiswürfel zu produzie-ren. Nach deinem ersten Drink kannst du den Whisky dann lauwarm trinken, so, wie das britische Empire auf- und untergegangen ist. Ich bin gleich zurück. Die Küche, das brauche ich wohl nicht erst zu betonen, liegt eine steile Treppe tiefer und direkt neben dem Klo.«
    Kate ließ sich glücklich in den so riesigen wie häßlichen Sessel sinken und dachte, wenn man schon nicht 1920 in Oxford sein und die Whitmore zur Freundin haben konnte, dann war man ein halbes Jahrhundert später mit Phyllis als Freundin doch glücklich dran.
    Selbst in einem Zimmer wie diesem. Denn seine Schäbigkeit war wirklich so bemerkenswert, als hätten einige Tausend Leos die Sprungfedern traktiert und ihre Schuhe an den Schonbezügen abge-putzt. Im Kamin stand ein Gasofen, dessen Heizleistung schon enorm sein mußte, um für seinen scheußlichen Anblick zu entschädigen. In der Ecke stand ein Fernsehapparat. Auf dem Boden lag ein Läufer, dessen Existenzberechtigung die Wärme sein mußte; ästheti-sche Gründe konnte es nicht geben. Aber, so dachte Kate glücklich, es war ein wunderbarer Raum für Gespräche, denn sein einziges Mobiliar bestand aus zwei üppig gepolsterten Sofas und zwei ebenso ausladenden Sesseln sowie einer trüben Stehlampe in der Ecke. Da Phyllis nicht arm war, war dieses Haus aus Gründen gewählt worden, die nichts mit seiner Einrichtung zu tun hatten.
    Phyllis’ Freude über Kates Ankunft in Oxford war zwar nicht ü-
    berraschend, aber dennoch rührend. Am Telefon hatte sie

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