Toedliches Erbe
gesehen?«
»Da ich hauptsächlich in Chicago arbeite und Max nicht zur Hochzeit unseres Neffen gekommen ist, habe ich ihn schon länger nicht mehr gesehen. Max mag keine Hochzeiten. Er schickt immer ein aufwendiges Geschenk, und deshalb verzeiht man ihm nicht nur seine schlechten Manieren, sondern bestärkt ihn sogar darin.«
»So hat er es mir auch erklärt. Mr. Reston, ich fürchte, diese Unterhaltung kommt Ihnen reichlich seltsam vor, aber da Sie morgen schon wieder fahren… Also, ich interessiere mich brennend für die beiden Freundinnen Ihrer Mutter aus Somerville, Dorothy Whitmore und Cecily Hutchins. Vielleicht hat Hugh Ihnen davon erzählt.
Könnten Sie mir wohl von Ihrer Mutter erzählen? Irgendwie ist mein Bild von ihr etwas verschwommen im Vergleich zu den beiden anderen. O je, ich hoffe, das klingt jetzt nicht unhöflich. Natürlich bin ich keiner von ihnen jemals begegnet, aber die Briefe der beiden anderen sind nur dank der Freundlichkeit Ihrer Mutter in Somerville.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich glaube, die Zeit in Oxford und London waren die glücklichsten Jahre im Leben meiner Mutter. Sie wissen ja, kurz nach dem Krieg kam mein Vater und zog ihr den Boden unter den Füßen weg. Ich glaube, es ist ihr nie in den Sinn gekommen, sich zu fragen, was sie in den folgenden zwanzig Jahren überhaupt getan hat. Inzwischen war Tante Dorothy tot – wir haben sie immer so genannt –, und Cecily Hutchins lebte in Amerika und schrieb Romane. Oh, ich glaube schon, daß sie ihre Freude an uns Kindern hatte, als wir noch klein waren. Und mein Vater und sie führten, wie wohl in den Zwanzigern so üblich, ein sehr fröhliches Leben. Ich erinnere mich, daß Tante Dorothys postum veröffentlichter Roman so um 1938 verfilmt wurde. Max und ich bekamen schul-119
frei und durften zur Premiere nach London fahren. Mutter kümmerte sich um die Stipendien, die Dorothy in ihrem Testament Somerville hinterlassen hat.« Reston seufzte. »Als Heranwachsender redet man nicht wirklich mit seinen Eltern, obwohl Max das ein bißchen mehr getan hat, glaube ich. Aber ich hatte das Gefühl, daß sie bald nach Dorothys Tod irgendwie auflebte, als sie das literarische Erbe zu verwalten hatte. Dorothy hat Max Erstausgaben von all ihren Romanen hinterlassen und mir Geld für ein Motorrad. Ich erinnere mich, daß ich ein bißchen beleidigt war, obwohl ich natürlich ganz wild auf ein Motorrad war. Ich wußte auch, daß ich über ihren Tod eigentlich hätte trauriger sein sollen, als ich war. Jugendliche sind so egozentrische Bestien. Heute wünschte ich, ich hätte sie besser gekannt.«
»Hat sie Sie oft besucht?«
»O ja. Wir sahen sie ziemlich oft, nachdem Cecily Hutchins nach Amerika gegangen war. Aber irgendwie hat sie sich immer mit Max unterhalten. Außerdem liebten beide Pferde, ich aber nicht. Ich bin immer im Sattel hin und her gerutscht, und bei der ersten sich bie-tenden Gelegenheit warf mich das Pferd ab. Wissen Sie, Max ist erwachsen zur Welt gekommen, genau wie sein Namensvetter Beerbohm.«
»Hat man ihn nach Beerbohm benannt?«
»Also, das habe ich immer vermutet, aber meine Mutter hat es geleugnet. Sie sagte, es sei ein alter Name in unserer Familie, aber ich bin kein einziges Mal auf ihn gestoßen. Tante Dorothy fand den Namen perfekt.«
Es war Abend geworden. Zwar sah Kate noch den Himmel, der sich hell von den Zweigen der hohen Bäume absetzte, doch der Tag war vorbei. »Erinnern Sie sich noch an Max’ Geburt? Ich meine, genau?«
»Überhaupt nicht. Kindern wurde kein Einblick in die Dinge des Lebens geboten, nicht einmal in den Zwanzigern. Ich war vier, und man hatte mich zur Großmutter ans Meer verfrachtet. Als ich zu-rückkam, war er einfach da, lag in den Armen seiner Nanny und sah aus, als gehöre ihm alles. Max hat es immer geschafft, so zu wirken, sogar als er ein paar Wochen alt war. Ich erinnere mich, wie die Kinderfrau Max den Besuchern vorführte und sagte: ›Ist das zu glauben? So ein hübscher Kerl.‹ Als drei Jahre später meine Schwester zur Welt kam, fand ich die ganze Prozedur entsetzlich langweilig.
Mittlerweile wußte ich natürlich schon, woher die Babys kamen. Als ich meine Mutter nach Max fragte, behauptete sie, sie hätte ihn unter 120
einem Stachelbeerstrauch im Garten gefunden. Wie die meisten erwachsen gewordenen Kinder habe ich, als ich selbst Vater wurde, nicht die gleichen Fehler gemacht wie meine Eltern mit mir, dafür aber alle anderen. Meine Kinder
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